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Mit Volldampf in die Zukunft

Bielefelds Eisenbahnfans haben die abgebrannte »01« nicht vergessen

Von Michael Diekmann
und Hans-Werner Büscher (Foto)
Bielefeld (WB). Die Maschine ist eine echte Schönheit, trotz des Gewichtes von 167 Tonnen eine filigrane Erscheinung. Wer ihr Foto sieht, hört das Zischen, das Schnaufen und das Klacken der Ventile, als stünde er direkt neben den riesigen Treibrädern. Doch die schwarze 01 150 schnauft nicht mehr - vorerst nicht.

Die Rede ist von der »Bielefeld-Lok«, jener Dampflokomotive der Baureihe 01, die bei der Brandkatastrophe im Eisenbahnmuseum im Oktober ein Raub der Flammen wurde. An Heiligabend verbindet sie in Gedanken zahlreiche Eisenbahnfreunde, Sammler und Modellbahner in Bielefeld, der Stadt wo die Lok dank Restaurierung durch Olaf Teubert ihren zweiten Frühling erlebt hatte.
Die Männer im Clubraum an der Heeper Straße sitzen um einen Berg Fotos. Stimmen mischen sich, aber wer genau zuhört, erfährt schnell, was an diesem Abend Thema ist. Es geht um die »01«, die in Bielefeld auch 17 Jahre nach ihrem Abschied 1988 Richtung Nürnberg immer noch die Seidensticker-Lok ist. Schließlich hatte sie Unternehmer Walter Seidensticker 1973 vor den Schneidbrennern der bahneigenen Verschrottungstruppen bewahrt und in den Ringlokschuppen an der Stadtheider Straße geholt. Damals hatte Olaf Teubert seine erste Begegnung mit der Maschine, die eigentlich auf das Abstellgleis sollte.
Heute, mit fast 70, erinnert sich Teubert an die erste Begegnung, an viele Jahre intensiver Arbeit, schöne Fahrten, Abschied und eine Schreckensnachricht, die ihn am 18. Oktober 2005 erreichte: Die 01150 ist eine von 24 Loks, die dem Brand in Nürnberg zum Opfer fielen. Im Museum spricht man von unersetzlichen Verlusten. In Bielefeld hegt man Hoffnung.
Für Modellbahner wie Michael Arnold, zweiter Vorsitzender des Bielefelder Clubs, hatte die 01150 ebenfalls immer eine besondere Bedeutung. Von Beruf Lokomotivführer wie Teubert, entschloss sich Arnold, der von Dienst wegen heute Triebwagen steuert, zumindest in seiner Freizeit den Mythos 01 in Bielefeld zu pflegen. Schon deshalb führt die schwarze Dampflok, die im Maßstab 1:87 auf der Anlage im Clubhaus dampft, das Typenschild der Bielefelder Seidensticker-Lok. Die Sonderedition des Herstellers Rocco hat Arnold eigens für hochkomplizierte Digitaltechnik umgebaut.
Und seit dem Verlust der echten Maschine, versichert Arnold, ist es für den Club eine Herzensangelegenheit, diese Lok genau so zu fahren, zu werben für den Erhalt der Lok, zu kämpfen für eine Instandsetzung mit allen Möglichkeiten, die »Eisenbahnverrückte« haben. Und die haben viele Möglichkeiten. Wer sie diskutieren sieht am Tisch, hört unbewußt diesen schrillen, durchdringenden Ton, mit dem sich der schwarze Schnellzuggigant vor jeder Bahnhofseinfahrt Respekt verschaffte bei Menschen auf den Bahnsteigen.
»Diese Lok hat einen historischen Auftrag«, sagt Olaf Teubert über das Brandopfer von Nürnberg. Nur sie allein vermag, was allenfalls der ebenfalls verbrannte Nachbau des legendären Adler von 1835 schaffen könnte: Die Verbindung von Epochen. Nicht Eisenbahnepochen. Die 01 150 verbindet unterschiedlichste Kapitel deutscher Geschichte des vergangenen Jahrhunderts.
Zugegeben, insgesamt wurden 231 Stück der Baureihe 01 als Schnellzuglok gebaut - als Zweizylinder-Heißdampf. Bis zu 130 Stundenkilometer schaffte die Lokomotive, die mit ihrem mächtigen Treib- und Kuppelraddurchmesser von zwei Metern Höhe Eindruck bei den Menschen machte. Die 01 150 wurde 1935 von Henschel in Kassel gebaut. Einzigartig ist sie nicht nur, weil sie im Wirtschaftswunder-Deutschland von 1957 eben nicht wie viele ihrer Schwestern auf neue geschweißte Hochleistungskessel umgebaut wurde. Die Bielefelder 01 hat nach wie vor die alte Kesseltechnik. Einzigartig ist sie aus anderen Gründen. Herausgeputzt in glänzendem Schwarz und mit leuchtend roten Rädern fuhr sie als einzige Dampflok bei beiden großen Jubiläumsparaden der Deutschen Bahn, zum 100- und 150-jährigen Geburtstag als Hauptdarstellerin.
Gleich die erste Fahrt aus den Werkhallen in Kassel hatte die Lok 1935 nach Nürnberg geführt. Der Zeit entsprechend mit einem mächtigen Hakenkreuz-Emblem vor Kopf des Kessels eröffnete die 01 gemeinsam mit dem Adler die Parade im Beisein Adolf Hitlers - am 7. Dezember 1935. Wohin der Zug der Zeit tatsächlich fahren sollte, wusste zur Zeit der Parade natürlich noch niemand. Die 01 150 erlebte die Zeit mit, überstand alle Kriegseinsätze, harten Zeiten und schweren Fuhren an der »Heimatfront«
Olaf Teubert lernte die 01-Lokomotiven im Nachkriegsdeutschland kennen, hautnah, schweißtreibend, aber auch faszinierend hoch oben auf dem Steuerstand. Der Vollbluteisenbahner war oft auf ihnen unterwegs, übernahm in Bielefeld die Maschinen auf den Interzonenzügen. »Das war der D 133,« erinnert sich Teubert genau. Den fuhr man bis Hannover, entschlackte und bekohlte die Lok neu und nahm den Gegenzug E542 Richtung Köln wieder mit. Die Interzonenzüge, schwere Einheiten mit Postwagen, ließen der 01 nie die Puste ausgehen. Im Gegenteil. Sie überzeugte mit Kondition und 2240 PS. Im florierenden Betriebswerk Bielefeld gehörten die Vorzeigeloks zum Alltagsbild wie in Hessen. Dort fuhr die 01 150 in Wiesbaden, Gießen und Hof.
Das Aus für die dampfenden Giganten besorgte die Bahn selbst. Mit der Elektrifizierung großer Streckenteile waren Dampffahrten auf Bundesbahngleisen untersagt. Echte Dampffans wurden auf Privatbahnen verbannt. Dorthin kamen die Dampfrösser als Anhängsel an Dieselloks. Die Bielefelder 01 stand derweil im Schuppen. Sieben Jahre Dornröschen-Schlaf, dann begann Olaf Teubert 1980 mit der aufwendigen Restaurierung, Schraube für Schraube, Blech für Blech. Als am 18. März 1982 einem kleinen Personenkreis unter Führung von Walter Seidensticker das Ergebnis vorgestellt wurde, horchte ganz Bielefeld auf. »Sie war so schön wie auf ihrer ersten Fahrt 1935«, schwärmt Teubert. Die Maschine hatte eine Hauptuntersuchung bestanden, war technisch absolut fit.
Das konnte sie 1985 beweisen - in Nürnberg bei ihrer zweiten Jubiläumsparade. Seidensticker verkaufte sie 1988 an die Bahn zurück. Die hatte inzwischen die Marktlücke entdeckt, mit Dampffahrten die ungeheure Zahl der Nostalgiker »einzudampfen«. Im Juli 1987, zum 75. Geburtstag der Extertalbahn, war die 01 150 letztmals in der Region eingesetzt, erinnern sich die Clubmitglieder. Am 6. Januar 1988 verließ die Lok endgültig Bielefeld Richtung Nürnberg, bekam noch eine Hauptuntersuchung und kleinere Fahraufträge. Dann begann die Zeit des Wartens. Als Exponat des Verkehrsmuseums, bewegungslos.
Die größten Fans der Lokomotive 01 150 sind in Bielefeld schon viel weiter - in Gedanken. Sie träumen von einer neuen Hauptuntersuchung, von einer Restaurierung, von der Unterstützung der Eisenbahnfreunde Oberhausen, von den vielen Dampf-Nostalgikern in ganz Deutschland, die man irgendwie mobilisieren muss. Selbst die Idealvorstellung ist in Träumen schon ausgereift. Die 01 150 könnte als Leihgabe der Bahn für Sonderzüge zeitweise in Bielefeld stehen, hätte eine sichere Bleibe im Schuppen an der Stadtheider Straße. Den hatten Teubert und seine Freunde gerade 2005 restauriert vorgestellt: »Da hätte sie ein schönes Plätzchen.«

Artikel vom 24.12.2005