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Wenn Kinder Mütter werden

Einrichtungen wie »KIM« und »Haus Lioba« bieten Hilfe zur Selbsthilfe an

Von Jens Twiehaus (Text und Fotos)
Paderborn (WV). Marina hat alles erlebt, was keine Eltern ihrer Tochter wünschen. Schwanger mit 15, von der Schule geflogen, keine Ausbildung und nach weiteren Rückschlägen nun vier Kinder von drei Vätern. Um solche jungen Mütter in sozialen Notsituationen kümmern sich in Paderborn mehrere Hilfseinrichtungen.

Marina ist jetzt 26 und die Älteste im Haus. Ihre beeindruckende Lebensgeschichte beginnt irgendwo weit draußen in der russischen Provinz. Schwanger mit 15: ein Schock für die Familie und für den Schulleiter ein Grund, sie rauszuschmeißen - einen Monat vor dem Abschluss. Dann ein zweites Kind, 1998 der Umzug nach Deutschland. Hier lernt sie einen Iraner kennen, der wird aber abgeschoben und Marina bekommt ihr drittes Baby. Heute sitzt sie im Mutter-Kind-Haus an der Friedrichstraße und kümmert sich um ihren kleinen Jan, acht Monate alt.
Mit ihr am Tisch sitzen drei weitere von insgesamt acht Bewohnerinnen. Michaela ist 21 und wird in ein paar Tagen mit dem dreijährigen Leon ausziehen; daneben Melanie (18) und Jennifer (19) - beide bekamen minderjährig ihr erstes Kind. Die Zahl dieser jungen Mütter insgesamt ist recht überschaubar. In der Stadt Paderborn sind es laut Jugendamt »drei bis vier pro Jahr«, im gesamten Kreis waren es 15 im vergangenen Jahr.
Auch die Drei haben schon viel durchgemacht. Melanie hatte früher »viel mit dem Jugendamt zu tun«, Michaela wohnte mit ihrem Freund zusammen und erzählt zögerlich etwas von »Unfall« und »Polizei«. Jennifer hatte Angst, »dass mir das Kind weggenommen wird«. Über das Jugendamt fanden sie Kontakt zum Mutter-Kind-Haus. Die teilstationäre Einrichtung gehört zum Verein »KIM - Soziale Arbeit«, außerdem bietet das »Haus Lioba« Hilfe und fünf Schwangerschafts-Beratungen geben Tipps, wenn Mütter eben solche benötigen.
Im Haus an der Friedrichstraße ist die Diplompädagogin Monika Meller für die kleinen und großen Sorgen der Mütter da. Mit einer Sozialarbeiterin und einer Erzieherin handelt sie nach dem Motto »So viel Hilfe wie nötig, so viel Freiheit wie möglich«. Und das nicht nur in Sachen Mutterrolle: Das Mutter-Kind-Haus versucht die Neu-Mamas schnell in eine Ausbildung hineinzubringen und durch abgetrennte Wohnungen auch aufs Leben danach vorzubereiten.
»Diese Gleichzeitigkeit ist besonders schwierig«, weiß Pädagogin Meller, »aber höchste Priorität hat natürlich das Muttersein«. Man wolle zunächst Erziehungskompetenzen aufbauen, »weil die Mütter ja teilweise selbst noch Kinder sind«. Der freundliche Umgang im Mutter-Kind-Haus ist spürbar, aber »wer sich nicht an die Regeln hält, der muss gehen«, sagt Meller. Im schlimmsten Fall ist die Mutter dann obdachlos und das Kind landet in einer Pflegefamilie.
Doch die Bewohnerinnen sind auf einem guten Weg. Michaela geht jeden Tag arbeiten und wird Tischlerin. »Manchmal habe ich Angst vor dem Alleinsein«, sagt sie kurz vor ihrem Auszug. Durch eine Nachbetreuung versuchen die Leute von KIM, weiterhin für sie da zu sein. Jennifer macht ihren Schulabschluss und will Köchin werden, auch Melanie strebt eine Ausbildung an.
Sogar in Marinas Leben ist Ruhe eingekehrt. Drei Kinder leben bei ihrer Mutter, und mit Jan versucht sie nun, auf eigenen Füßen zu stehen. Sie ist eine glückliche Mutter: »Vier Kinder? Das würde ich noch mal genauso machen«.
www.kim-paderborn.de

Artikel vom 05.01.2006