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Schule machen in den Slums von Kenia

Zwei junge Frauen aus Werther erleben als Lehrerinnen in Nairobi radikal neue Eindrücke

Von Lars Wellhöner
Werther/Nairobi (WB). Seit Anfang September sind Henrike Quest und Bettina Oldemeyer aus Werther in Kenias Hauptstadt Nairobi, um im »Mother of Mercy Center« - der Partnerschule der Böckstiegel-Gesamtschule zu unterrichten. Insgesamt werden sie zehn Monate dort bleiben. Inzwischen haben sich die jungen Frauen schon gut eingelebt.

Henrike Quest und Bettina Oldemeyer bekommen das Familienleben in Nairobi hautnah mit. Schließlich leben sie bei dem Direktor der Schule, in der sie auch Deutsch unterrichten. Mit sechs weiteren Familienmitgliedern leben sie auf engstem Raum, ohne Herd und ohne Kühlschrank. »Aber mit der Zeit erkennt man auch die Vorteile einer eiskalten Dusche am Morgen und schafft es beinahe, sich an ein Leben ohne Vollkornbrot und Käse zu gewöhnen«, erzählen sie.
Dass in Afrika eine ganz andere Gesellschaftsstruktur existiert als in Deutschland, merken die Mädchen immer wieder. »Wir haben schon so manche heiße Diskussion über die Rolle der Frau geführt«, berichten sie. Von Gleichberechtigung könne man in Kenia nun wirklich noch nicht sprechen. »Ein guter Schritt in die richtige Richtung ist jedoch die Tatsache, dass immer mehr Mädchen eine Schule besuchen, um eine bessere Zukunftsperspektive zu haben«, finden Henrike Quest und Bettina Oldemeyer.
So auch im »Mother of Mercy Center«, in dem die beiden Deutsch unterrichten. Das Zentrum mit drei Standorten hat es sich zur Aufgabe gemacht, seinen 150 Schülern (die meisten davon Waisen- oder Straßenkinder aus extrem ärmlichen Verhältnissen) eine bestmögliche Bildung und somit die Chance auf ein besseres Leben zu geben. Auch die Lehrerinnen aus Deutschland müssen teilweise Fußmärsche von bis zu einer Stunde zurücklegen, um von Standort zu Standort zu kommen.
An drei Tagen in der Woche unterrichten Henrike Quest und Bettina Oldemeyer in der Primary School (Grundschule), an zwei Tagen in der Secondary School (Weiterführende Schule). »Von den Schülern wurden wir herzlich empfangen, sie haben für uns getanzt und gesungen«, erzählen die Wertheranerinnen. »Es ist schon sehr beeindruckend, diese glücklichen Kinder zu sehen, wenn man bedenkt, wie schwer ihr Leben im Slum oder auf der Straße ist.«
Doch die Nachwuchs-Lehrerinnen haben es nicht immer leicht. »Unser Versuch, die Unterrichtssstunden ein wenig abwechslungsreicher zu gestalten, ist kläglich gescheitert, weil die 10-bis 21-jährigen Frontalunterricht gewöhnt sind«, erzählen sie. Auch das Unterrichten von Gleichaltrigen oder Älteren sei für die beiden 19-Jährigen nicht immer einfach.
Die Schule muss mit sehr geringen Mitteln auskommen. Die Schulgebäude sind provisorisch gebaut, haben ein Wellblechdach. Es gibt kaum Schulbücher. Ein Schulgebäude aus Stein sei noch Zukunftsmusik.
Beeindruckend sei nicht nur die Arbeit im »Mother of Mercy Center« und das Leben mit der kenianischen Bevölkerung. Auch die Begegnung mit afrikanischen Tieren, die man sonst nur aus dem Zoo kennt, sei ein unvergessliches Erlebnis. »Hier laufen Zebras direkt am Highway entlang«, erzählen die jungen Frauen von einem willkommenen Ausflug in die Natur. Denn: »In einer solchen Großstadt wie Nairobi zu leben, ist für uns Landkinder nicht einfach«, räumen sie ein.
Viele Schwarze rufen den Weißen hinterher: »Wazungu, how are you? - Weiße, wie geht es Euch?«. »Das wird in einer Millionenstadt auch schon mal anstrengend«, finden Henrike Quest und Bettina Oldemeyer.

Artikel vom 19.12.2005