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»Klar werden
über Inneres«

Jenny Alonis Tagebücher erschienen

Von Manfred Stienecke
Paderborn (WV). Gut zwölf Jahre nach ihrem Tod sind jetzt im Paderborner Schöningh-Verlag die Tagebücher der deutsch-israelischen Dichterin Jenny Aloni erschienen.

Die gewichtige Edition, die die persönlichen Aufzeichnungen von Jenny Aloni aus einer Zeitspanne von mehr als 58 Jahren zugänglich macht, hat der Paderborner Literaturwissenschaftler Dr. Hartmut Steinecke betreut. Allein fünf Jahre dauerte die Abschrift und Kommentierung der überwiegend in Deutsch, stellenweise aber auch in Stenografie und in Hebräisch abgefassten Texte - eine Fleißarbeit, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziell gefördert wurde. Zuschüsse zum Druck des Bandes »Jenny Aloni. Ich muss mir diese Zeit von der Seele schreiben, Die Tagebücher 1935-1993« (848 Seiten, 99 Euro) steuerten die Aloni-Gesellschaft und die Kunststiftung NRW bei.
In seinem Vorwort erläutert Steinecke die Besonderheit der Aloni-Aufzeichnungen. Es sei eines von ganz wenigen bisher bekannten Tagebuchwerken, die das Leben von jüdischen Auswanderern nach Palästina in diesen beiden Ländern, Deutschland und Israel, umfassen - beginnend von der Zeit des Nationalsozialismus bis in die Zeit nach dem Golfkrieg. Und vermutlich sei es das einzige dieser Art, das von einer Frau geschrieben wurde.
Jenny Aloni, die am 7. September 1917 als Jenny Rosenbaum in Paderborn geboren wird, verlässt im April 1935 das Michaelskloster, um sich gegen den Willen ihrer Eltern in Berlin in einem jüdischen Ausbildungslager auf die Ausreise nach Palästina vorzubereiten. Hier, auf Gut Winkel, beginnt sie damit, ein Tagebuch zu führen als »Rechenschaftsbericht, den ich mir selbst gebe. So wird mir vielleicht einst die Möglichkeit verschafft, klar zu werden über mein Inneres, von dem ich weniger weiß als von den Dingen um mich her.«
Steinecke und seine Mitherausgeber gliedern die persönlichen Aufzeichnungen aus den zwölf Tagebuch-Heften mit mehr als 2000 Seiten in vier Zeitabschnitte, denen sie jeweils eine biografische Einordnung voran stellen. Zäsuren setzen sie bei der Ausreise aus Deutschland (November 1939), dem Leben in Palästina bis zur Gründung des Staates Israel (Dezember 1947), der Zeit von der Heirat mit Esra Aloni im Januar 1948 bis zum Sechs-Tage-Krieg (Juni 1967) und den Jahren bis zu ihrem Tod am 30. September 1993.
Während die Beschäftigung mit der eigenen literarischen Produktion einen breiten Raum in Alonis Tagebüchern einnimmt, bleiben Kommentare zu ihrer Paderborner Vergangenheit knapp bemessen. Als sie zum Liborifest 1967 mit dem Kulturpreis ihrer Heimatstadt geehrt wird, notiert sie kaum mehr als die lakonischen Reiseimpressionen: »25.7. Preisverteilung. Vorher Essen nach der Karte im Ratskeller«.

Artikel vom 14.12.2005