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Das Wort zum Sonntag

 Von Eberhard Helling, Lübbecke


Keine Empfehlungen, wie Sie den Advent verbringen sollen, kein Schimpfen über die blöde Konsumhaltung, die den Sinn des Festes angeblich verstellt - schließlich profitieren wir als Kirchen auch von den eingehenden Einkommensteuern der Einzelhändler, die noch Kirchensteuer bezahlen - und auch keine Beschreibung von dem, was nach meiner Einschätzung den Advent nun wirklich ausmacht werden sie von mir hören; vielmehr einen kurzen Bericht über einen »adventlichen« Menschen:
Angefangen hat es alles recht »unadventlich«, nämlich so, wie man es schon immer gedacht hatte: er war Sohn aus einer gutbürgerlichen Familie, gebildet, redegewandt, schrieb als Schüler schon so lange Aufsätze, dass seine Lehrer darüber verzweifeln wollten. Er wurde also Pfarrer. Und dann kam der Erste Weltkrieg; und er sah, dass die Kirche, in der er seinen Dienst versehen wollte, jämmerlich versagte, dass sie mit den Wölfen heulte, dass sie Waffen segnete und Welten von dem entfernt war, was er sich unter Kirche und Gemeinde vorstellte. Kirche sollte doch etwas anderes sagen, etwas ganz anderes, besser gesagt: Kirche sollte doch von einem Anderen erzählen, von einem ganz Anderen. Da muss doch noch etwas anderes kommen - Advent eben, das heißt doch: Ankunft von Gott in unserer Welt.
Und deswegen wollte er noch einmal von vorne anfangen, mit sich und der Kirche und alles ganz neu verstehen, und er landete, nach vielen anderen Versuchen bei der Bibel. Die hat er dann gelesen, ausgelegt, wieder gelesen und wieder ausgelegt - so als ob es nichts Wichtigeres gäbe; weil er dachte, da muss doch noch was kommen, etwas anderes als das, was ich hier sehe. Er wurde theologischer Lehrer in Göttingen, Münster und Bonn - und es kam Adolf Hitler. Schon sehr früh hat unser adventlicher Mensch das Unheil kommen sehen, das sich in Deutschland zusammenbraute. Schon sechs oder sieben Jahre vor Hitlers Machtergreifung hat er vor dem fatalen Bewusstsein gewarnt, dass am deutschen Wesen die Welt genesen könnte. Und es dauerte noch zwei Jahre, bis die nationalsozialistische Regierung ihn aus Deutschland hinauswarf, weil er den für Beamte erforderlichen Führereid nicht leisten wollte. Wieder der Eindruck bei ihm: Das kann doch nicht alles gewesen sein, da muss doch auch in der Kirche ein anderes, ein ganz anderes Bewusstsein herrschen - und er schrieb bis zum Ende seines Lebens eine »Kirchliche Dogmatik«.
Keiner hätte gedacht, dass ausgerechnet dieses Thema nun wirklich »dran« wäre, als ob die Menschen nicht etwas Wichtigeres und Lebenspraktischeres gebrauchen könnten. Nein, war seine Auskunft bei diesen naheliegenden Rückfragen: Ich muss noch einmal von vorne mit allem anfangen, denn so wie es in unserer Welt und in unserem Leben ist, so soll, so braucht es nicht zu bleiben - es kommt noch etwas ganz Gutes auf uns zu.
Davon war er bis zum Schluss durchdrungen. An seinem letzten Abend telefonierte er noch mit einem alten Freund und die beiden alten Herren jammerten über den schrecklichen Lauf der Welt. Da durchzuckte es ihn und er sagte nur noch: »Ja nicht die Ohren hängen lassen - es wird regiert!« Am nächsten Morgen, dem 10. Dezember 1968, fanden seine Angehörigen ihn im Bett mit gefalteten Händen - wahrscheinlich in der Erwartung, dass Gott zu ihm kommt und der Mensch zu Gott zurückkehrt, um noch einmal ganz von vorne mit ihm anzufangen. Sein Name: Karl Barth.

Artikel vom 10.12.2005