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Tendenz zur Überforderung

Soziales Frühwarnsystem soll gefährdeten Familien helfen

Rheda-Wiedenbrück (dibo). Arbeitslosigkeit, Trennung (in Rheda-Wiedenbrück wird statistisch gesehen jede 2,2. Ehe geschieden), immer komplexer werdende Erziehungsanforderungen - wenn vor allem Mütter an ihre Belastungsgrenzen stoßen, geht das an den Kindern nicht spurlos vorüber.

Bildlich gesprochen steht bei den meisten Familien die Ampel auf Grün, bei manchen auf Rot, bei etlichen gibt's aber die alarmierende Tendenz von Grün nach Gelb. Bei ihnen tendiert der Normalzustand in Richtung Überforderung. Sie zu erreichen und frühzeitig die Eltern zu entlasten, damit die Entwicklung der Sprösslinge nicht beeinträchtigt wird, ist das Ziel eines sozialen Frühwarnsystems, das die Abteilung Jugend, Familie und Sozialer Dienst des Kreises Gütersloh und der Caritasverband für den Kreis Gütersloh speziell für Rheda-Wiedenbrück entwickeln wollen. Pilotprojekte in Bielefeld, Dortmund, Emmerich, Herne, Essen und im Kreis Siegen-Wittgenstein seien in der Pilotphase 2001 bis 2004 überaus erfolgreich gewesen, teilt die Stadtverwaltung mit.
Wenn das soziale Frühwarnsystem funktionieren soll, damit »Familien mit jüngeren Kindern einen guten Start ins Leben und die Gemeinschaft hinbekommen«, wie es Reinhild Birkenhake, Leiterin Regionalteams Süd des Kreisjugendamtes, während des jüngsten Sozialausschusses formulierte, müssten alle bereits bestehenden Hilfesysteme wie Kindergärten, Hebammen, Kindergärten, Vereine vernetzt werden. Aber auch ehrenamtliche Helfer werden in dieser verbindlichen (und für den Steuerzahler kostenfreien) Kooperation eine Rolle spielen.
Gearbeitet wird nach den drei Schritten Wahrnehmen - Warnen - Handeln. Wird beispielsweise bei einem Kindergartenkind ein Entwicklungsdefizit erkannt, erhält der Koordinator des Frühwarnsystems eine Warnung, der sich eine »zielgenaue« Handlung anschließt, um das Kind im wahrsten Wortsinn nicht in den Brunnen fallen zu lassen. Freilich müssen die Familien auch mitspielen Ñ ohne Freiwilligkeit hat die Hilfe keine Chance. Hier spielt wiederum der Datenschutz eine Rolle.
Ursula Engelking, Leiterin der Caritas-Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche, nannte im Sozialausschuss ein Beispiel: Die Tochter (12) einer in zweiter Ehe mit einem Drogensüchtigen verheirateten Frau muss die vierte Grundschulklasse wiederholen. Nach einem Gespräch mit Engelking durchläuft das Mädchen einen Test und wird auf einer Förderschule untergebracht, wo es sich gut entwickelt. Ein freiwilliger Helfer kümmert sich um die Mutter, fährt sie zu den Ämtern. Und der drogensüchtige Ehemann wird vor die Tür gesetzt. Bei einem Frühwarnsystem, das nicht nur nach Meinung Engelkings schon in der Schwangerschaft beginnen sollte, wäre früher bemerkt worden, dass in dieser Familie etwas nicht stimmt. Die Politik müsse nur »Ja« zu diesem Projekt sagen. Was die Parlamentarier auch taten. Einstimmig.

Artikel vom 09.12.2005