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Giftanschlag
als Drohung

Kriminalfall aus dem Jahr 1885

Rheda-Wiedenbrück (de). Die langen Winterabende verleiten zum Lesen. Kriminalromane und unheimliche Geschichten sind besonders dann beliebt, wenn in Dunkelheit Wind um die Hausecken und in den hohen Bäumen heult, im Kamin aber ein wärmendes Feuer flackert. Im Gespräch mit Wiedenbrücks besten Geschichtenerzähler, Kurt Otterpohl, ging es um einen eigenartigen Kriminalfall, der sich 1885 in Wiedenbrück tatsächlich ereignete. Ein Bürger drohte damals einem Geistlichen mit einem Giftanschlag mittels Fußangeln. Hier ist die ganze Kriminalgeschichte.

Streitpunkt war die geplante Schließung des alten Friedhofs (heute städtische Parkanlage an der Bielefelder Straße). Diese Begräbnisstätte stand von 1824 bis 1885 zur Verfügung. Aus sanitärpolizeilichen Gründen kam von staatswegen die Order, den Friedhof zu schließen. Dieser Beschluss hing mit dem hohen Wasserstand auf dem Gelände zusammen. Die Bürger liefen gegen die Schließung Sturm. Sie boten an, Erdreich aufzufahren, um das Bodenniveau um drei Fuß anzuheben. Auch der Vorstand der St. Aegidius-Pfarrgemeinde schloss sich der Ablehnung an. 22 Mitglieder forderten den Erhalt des alten Gottesackers; nur zwei votierten für den neuen Friedhof am Nordring. Doch aller Widerstand war vergeblich. Nach eingehender Besichtigung der Örtlichkeiten durch eine Regierungskommission erfolgte die Anordung der Schließung des offenbar unbrauchbaren Gräberfeldes und die Neueröffnung eines Geländes für Bestattungen am Nordring. Das geschah 1885.
Wie stark die Protesthaltung gegen den neuen Friedhof war, zeigt eine Begebenheit am Tag der Einweihung. Als sich der damalige Pfarrverweser, Kaplan Joseph Block am 17. Mai 1885 anschickte, zur Kirche zu gehen und anschließend den neuen Friedhof einzuweihen, wurde ihm ein Drohbrief übergeben mit der eindringlich Warnung, er möge nicht wagen, die Stätte einzuweihen, denn dort seien »giftige Fußangeln gelegt worden«. Die Einweihung fand trotzdem statt. Kaplan Block lebte noch etliche Jahre, starb eines natürlichen Todes. Auf seinem Grabstein im Gräberfeld der Priester sind die Daten zu lesen: »1818 bis 1891«.
Der Verfasser des Drohbriefes wurde wegen versuchter Nötigung angeklagt und von der Strafkammer Bielefeld zu zwei Wochen Gefängnis verurteilt. Wie die Justiz seinen Namen erfuhr, ist nicht überliefert. Vielleicht verriet er sich bei einem Trinkgelage.
Verständlich wird der Protest, wenn man den Hintergrund kennt. Auch darüber sind Nachrichten in alten Unterlagen zu finden. Das enge Mühlentor (heute Einmündung Rektoratsstraße in die Lange Straße) hatte nur einen Durchlass von 140 Zentimetern. Nur Fußgänger, höchstens mit einer Schubkarre oder einen Bollerwagen, konnten die schmale Brücke über die Umflut passieren, nicht aber eine Pferdekarosse. Der Wagen musste einen Umweg nehmen über die Brücke an der heutigen Brücken-Apotheke. Die Trauergemeinde zwängte sich indessen durch das Mühlenpförtchen. Erst 1888 wurde das Haus, das im Wege stand, abgerissen. Von da an gelangten die Trauerkondukte geschlossen direkt von der Pfarrkirche zum neuen Friedhof.

Artikel vom 09.12.2005