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Alfred Gong - ein von der Zeit verschlissenes Genie

Kammerspiele-Lesung: Helmut Thiele stellte Autor vor

Von Rainer Maler
Paderborn (WV). Als Alfred Gong 1920 in Czernowitz in der Bukowina (Ukraine) geboren wurde, gehörte dieser ehemals österreichische Landstrich zu Rumänien, war ein Schmelztiegel verschiedener Nationalitäten und Geburtsort bekannter Dichter wie Paul Celan und Rose Ausländer und Gong hieß noch Alfred Liquornik.

Unter der Überschrift »Heimatlos« laden die Westfälischen Kammerspiele Paderborn zu ihrer vierten Lesereise ein. Zum Auftakt las in der Stadtbibliothek der österreichische Schauspieler Helmut Thiele aus teilweise unveröffentlichten Texten des leider zu Unrecht vergessenen Dichters, der als so genannte »Verschleppte Person« 1951 in die USA emigrierte und sich dann Gong nannte. Krieg, Arbeitslager und Deportationen hatte er überstanden. In Amerika schlug er sich als freiberuflicher Journalist, Dramaturg und Übersetzer mehr recht als schlecht durch, gab die Schriftstellerei ent-täuscht lange vor seinem frühen Tod mit 61 Jahren auf. In den Gedichtbänden »Manifest Alpha«, »Gnadenfrist«, »Gras und Omega« beschreibt Gong den anonymen Kreislauf des Menschen zwischen rauer Existenz und magischem Realismus.
Ein von der Zeit verschlissenes Genie wurde Gong von Kritikern genannt, dessen außergewöhnliches poetisches Talent zwischen den Wirren der Zeit und seiner Schüchternheit, seiner Introvertiertheit zerrieben wurde. Zwischen Melancholie und ewiger Heimatlosigkeit changierend, schildert Alfred Gong in Briefen und Prosa die menschliche Gier nach schnödem Mammon in den stählernen Tempeln des modernen Babylons Manhattan, wo »ein gefallener Engel in der Untergrundbahn schnarcht« und »Moses im Findelkindhaus« abzuholen ist. Gongs Gedichte sind geprägt von Verweisen auf Bibel und Religion, sie sind Ortsbestimmungen seiner Existenz. Getrieben von der Sehnsucht nach den arkadischen Stätten seiner Kindheit im viersprachigen Czernowitz diente die Neonkälte des »American Way of Life« Alfred Gong als Inspiration für gesellschaftskritische Gedichte und Prosa.
Zu den Liedern mal melancholischer, mal heiterer Klezmermusik erzählte Helmut Thiele Anekdotisches aus Gongs Leben, trug mit wechselnden Tonlagen Gedichte vor, die den Zuhörer durch ihre magische Sprachkraft fesselten. Aber Gong ist kein trauriger Autor. Bei der Schilderung einer Aufführung eines Melodrams im jüdischen Theater in New York bleibt kein Auge trocken, als das Publikum lautstark die Bestrafung des Schauspielers forderte, der den fiesen Intriganten spielte, und dieser sich gerade noch in die Pause rettet, bevor es ihm wirklich an den Kragen ging.
Helmut Thiele gebührt Dank, dass er mit seiner sensiblen und komödiantischen Lesung von Gongs grotesker Prosa und seinen wortgewaltigen Gedichten einen spannenden Autor wiederentdeckt hat.

Artikel vom 03.12.2005