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Viele Schüler litten unter Kriegstraumata

Jahrbuch: Annegret Rögge befasst sich mit Notschuljahren in Vlotho und Umgebung

Vlotho (man). Es waren harte Winter in den Jahren 1945/1946. Und da Schuhe knapp waren, konnten manche Kinder nicht zur Schule gehen - Notschuljahre eben, wie sie Annegret Rögge in einem Aufsatz für Vlotho beleuchtet.

Der Text ist im neuen Historischen Jahrbuch für den Kreis Herford enthalten, das jetzt während einer Veranstaltung der Geschichtswerkstatt Exter vorgestellt worden ist. Mit einem anderen Weserstadt-Thema hat sich Manfred Kluge beschäftigt. In seinem Aufsatz geht es um den kommunistischen Widerstand in Vlotho in den Anfängen der NS-Zeit bis 1936 (die VLOTHOER ZEITUNG berichtete ausführlich).
Mit den Auswirkungen des Nationalsozialismus beziehungsweise dem Zweiten Weltkrieg haben die Notschuljahre unmittelbar zu tun. Annegret Rögge stellt für die Schulen im damaligen Deutschland fest: »Die Schulen litten unter unzureichenden Räumlichkeiten, fehlenden Unterrichtsmitteln, reduzierten Lehrkräften und einer um 50 Prozent angestiegenen Schülerzahl.«
Flucht, Vertreibung, Bombennächte: In einer Aufsatzsammlung der Winterbergs-Schule von 1951/1952 werden die traumatischen Erlebnisse der Schüler deutlich, die durch den Krieg hervorgerufen worden sind. Rögge, Mitglied der Geschichtswerkstatt Exter: »Elf der Kinder wissen mit Sicherheit, dass ihr Vater gefallen ist. Bei sieben ist es ungewiss, ob sie ihren Vater wiedersehen; er ist vermisst.«
Verschiedene Facetten des Begriffs »Notschuljahre« arbeitet die Autorin heraus - so die räumlichen Gegebenheiten: Besonders hart hatte es die Bürgerschule in Vlotho getroffen, an der kein eigener Schulraum mehr genutzt werden konnte. Schon während der Krieges habe das Gebäude geräumt werden müssen, schreibt Rögge: »Zunächst diente es seit 1944 als Kriegslazarett, dann als Sammelstelle für befreite Zwangsarbeiter, später als Kriegsgefangenenlager.« Für den Unterricht mussten die Verantwortlichen bis zum Februar 1949 unter anderem auf das Gemeindehaus oder den Saal des Hotels Lütke ausweichen.
Anders sah es aus beim Schulgebäude in Exter, dessen Keller im Zweiten Weltkrieg Schutz vor Bombardierungen bot. Beim Einmarsch der Amerikaner war das Gebäude unter Beschuss geraten. Erhebliche Schäden waren die Folge: »Die Räume waren durch Einquartierung verwüstet, und das Ganze bot einen trostlosen Anblick. Die Lehr- und Lernmittel, Karten und Bücher, waren größtenteils vernichtet oder lagen zwischen Gerümpel und Schutt.« Nachdem zwei Klassenräume notdürftig hergerichtet worden waren, begann der Unterricht für die Grundschule am 20. September. Glimpflicher kam die Schule in Schwarzenmoor davon. Kein Beschuss, während eines Tanzabends in dem Gebäude war lediglich ein Filmgerät verschwunden.
Zum Problem mit den Räumen kam das mit den Lehrern. Um ein Weitergeben der alten NS-Inhalte zu verhindern, legten die Alliierten scharfe Richtlinien an. So schien von drei Lehrern, die bis zum Kriegsende in Schwarzenmoor übrig geblieben waren, nur der Lehrer Kirsch unbelastet zu sein - was dazu führte, dass der Pädagoge am Anfang 160 Schüler zu unterrichten hatte.
Schulbücher gab es nicht, Kinder waren kriegstraumatisiert, Lehrer sollten in der Landwirtschaft aushelfen: Bis zum Einsetzen des Wirtschaftswunders herrschte Not in den Schulen.
Historisches Jahrbuch für den Kreis Herford 2006. Verlag für Regionalgeschichte. Bielefeld. 256 Seiten.

Artikel vom 02.12.2005