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»Auch das Schöne muss sterben!«

Literarischer Abend mit Friedrich Schiller und Thomas Mann

Dringenberg (WB). »Unvergessen«. Unter diesem Titel stand der literaische Abend rund um Friedrich Schiller (1759-1805) und Thomas Mann (1875-1955) im Historischen Rathaus Dringenberg, den der Kulturverein Art D Driburg anlässlich Schillers 200. und Manns 50. Todestag organisiert hatte.
Die Protagonisten des literarischen Abends in Dringenberg: v.l. Dagmar Koopmann, Professor Dr. Gerd Eberhardt (beide Art D Driburg), Alfred Kornemann und Linda Keil.Foto: WB
Der renommierte Sprecher Alfred Kornemann aus Lippstadt und die aus Rundfunk und Theater bekannte Linda Keil aus Münster hatten ein Kaleidoskop aus Lyrik und Prosa dieser beiden bedeutenden deutschen Dichter zusammengestellt.
Zu Beginn stand Schillers Gedicht »Die Bittschrift« (»Dumm ist mein Kopf und schwer wie Blei, / die Tobaksdose ledig, / mein Magen leer - der Himmel sei / dem Trauerspiele gnädig.«). Es schildert exemplarisch das ewige Ringen des Klassikers mit Krankheit, materieller Not und Abhängigkeit, die nicht nur seine Existenz peinigten, sondern auch sein lyrisches Werk wie das Pathos seiner Sprache beeinflussten. Schon Wilhelm von Humboldt hatte 1830 in seinem Aufsatz »Über Schiller und den Gang seiner Geistesentwicklung« von dessen prekären Le-bensumständen geschrieben, die der Dichter fortwährend versuchte sozusagen in einem Kraftakt des Willens zu besiegen: »(É) so fanden sich doch in ihm Stunden, Tage des Zweifelns, Kleinmütigkeit, ein scheinbares Schwanken zwischen Poesie und Philosophie, ein Mangel an Zuversicht auf seinen Dichterberuf, wodurch jene Jahre zu einer so entscheidenden Epoche seines Lebens wurden.«
Nach Schillers realistischer »Nadowessische Totenklage« (1797), mit der er sich in das Leben eines einfachen Naturvolkes hineinversetzt und dabei von ihm selbst nie gesehene Naturwunder malerisch-anschaulich zu schildern versteht, folgten seine Balladen »Die Kindsmörderin« und »Die Bürgschaft« (1798), deren Handlung mit ihrer hehren Idee von Freundschaft und Treue in Syrakus angesiedelt ist. Auf uns wirkt diese sogenannte Ideenballade heute, nach mehr als 200 Jahren, in einer Zeit, da keiner mehr an die Utopie der Erziehung zur »schönen Menschheit« glaubt, konstruiert und eher aufdringlich in ihrer Moral.
Stücke wie »Kassandra« und »Die Kraniche des Ibykus« standen an diesem Abend für Schillers Auseinandersetzung mit dem Altertum und der griechischen Dichtung (Homers »Ilias« und »Odyssee«) und zeigt dabei die Orientierung Schillers an der dramatischen Manier des Euripides.
Einem Dialog zwischen Luise Miller und dem Sekretär Wurm (3. Akt, 6. Auftritt) aus dem bürgerlichen Trauerspiel »Kabale und Liebe« als Zeugnis für den Dramatiker Friedrich Schiller schloss sich die meisterhafte Lesung (Alfred Kornemann) der kleinen Erzählung »Schwere Stunde« von Thomas Mann an. Angesiedelt in Jena beschreibt dieser hier sehr eindringlich und ungeheuer bildhaft einen der typischen Schaffensprozesse, eine jener Phasen des inzwischen gesundheitlich schwer angeschlagenen Dichters Schiller, die ihn fast an den Rand der Aufgabe brachten. Der große klassische Dichter als Philosoph - zwei Beispiele führten dem Publikum diesen Aspekt abschließend vor Augen: Linda Keil mit Schillers Gedicht »Die Worte des Glaubens« und Alfred Kornemann mit Schillers letzter Elegie »Nänie« (1798/99), einer Klage über die verlorene Hoffnung, dass auf Erden das Vollkommene und Schöne überdauern könne (»Auch das Schöne muss sterben!«).
Alles in allem war dieser literarische Abend ein äußerst kurzweiliger, der im Publikum den Wunsch nach einer Fortsetzung wach werden ließ. Hinzuweisen sei noch auf die Tatsache, dass Alfred Kornemann und Linda Keil für ihren Auftritt kein Honorar verlangten und stattdessen um eine Spende für den Unterhalt des Historischen Rathauses in Dringenberg baten, wofür sich Professor Dr. Gerd Eberhardt im Namen des Kulturvereins Art D Driburg mit Blumen und einem Buch bedankte.

Artikel vom 01.12.2005