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Warum Blumen pflücken Arbeit sein kann

Paul Spiegel erzählt in der Petri-Kirche von jüdischem Glauben und Leben in Deutschland

Versmold (mh). Das Judentum ist eine fröhliche und friedliche Religion, der Leben und Schöpfung, alle menschlichen Freuden inbegriffen, ernst und heilig sind. Stark vereinfacht lässt sich die Botschaft so zusammenfassen, die Paul Spiegel, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, am Mittwoch den Versmoldern mitgegeben hat.

Auf Einladung der Stadtbücherei und der Buchhandlung Krüger las der 67-jährige Journalist und Unternehmer in der Petri-Kirche aus seinem Buch »Was ist koscher? Jüdischer Glaube - Jüdisches Leben« und nahm sich zudem viel Zeit, dem Publikum Fragen zu beantworten.
»Dieses Buch kann und will nur eine kleine Einführung in die jüdische Welt sein«, erklärte er zu Beginn. Der Austausch zwischen Juden und Nichtjuden sei wichtig für einen selbstverständlichen Umgang. Und Austausch sei nur möglich, wenn man Bescheid wisse. Deswegen klärt er in seinem Buch grundsätzliche Fragen, stellt Missverständnisse richtig und eröffnet einen Blick in jüdisches Leben und Selbstverständnis.
Zu solch wichtigen Themen gehört der Sabbat: Warum eigentlich dürfen Juden an diesem Tag nicht arbeiten? Warum kein Licht benutzen, nicht Auto fahren, nicht einmal ein Blume pflücken oder ein Streichholz entzünden? Die Antwort scheint simpel einleuchtend und gleichzeitig von zentraler Bedeutung: »Der Sabbat ist der heiligste Feiertag der jüdischen Religion. In sechs Tagen hat Gott einst die Welt erschaffen, in ganzer Perfektion. Letztere wird dadurch versinnbildlicht, dass er schon am siebten Tag von diesem Akt ruhen kann. Die Juden heiligen diese Schöpfung, indem sie nicht arbeiten. Und Arbeit bedeutet hier: jeglicher Eingriff in die physikalische Welt.«
Natürlich würden diese Gebote nicht von allen Juden gleich streng aufgefasst, beschreibt Paul Spiegel. Es gäbe die orthodoxen Juden genauso wie die stark säkularisierten. Die mehr oder weniger stark ausgeprägte Gläubigkeit zeige sich auch in anderen Beziehungen wie der Frage nach koscherem Verhalten. Aus dem Hebräischen übersetzt bedeute das Wort koscher »rein«. »Es geht nicht um ein Verbot, sondern um Beherrschung der Triebe.« Dementsprechend dürfe auch der gläubige Jude weltliche Freuden genießen - wenn er sie im Sinne Gottes genieße.
Paul Spiegel verstand es Mittwochabend, religionsphilosophische Erklärungen verständlich und beinah unterhaltsam zu formulieren. Dabei schreckte er auch nicht vor selbstkritischen Aussagen zurück. Dennoch verlor Spiegel nicht den Respekt und er verdeutlichte in der Fragerunde, dass seines Erachtens nach die Chancen auf einen »normalen« Umgang der Religionen in Deutschland gut stehen.

Artikel vom 02.12.2005