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»Billiger werden geht nicht«

Vortrag von Professor Peter Freese über Bildung und Globalisierung

Von Bernd Steinbacher (Text)
und Matthias Kleemann (Foto)
Altkreis Halle/Schloß Holte-Stukenbrock (WB). Defizite im deutschen Bildungssystem ärgern ihn. Dass Professor Peter Freese unter den Studenten die beiden Stipendien für Neuseeland nicht vergeben konnte, weil sie keiner wollte, lässt ihn den Kopf schütteln. Dass die Lehrerfortbildung freiwillig ist, muss aus seiner Sicht geändert werden. Für seine deutlichen Worte fand er jetzt beim 6. Unternehmertag in Schloß Holte-Stukenbrock viel Zustimmung.

»Wir können nicht mit den Löhnen und Arbeitszeiten der Menschen in Drittwelt-Ländern konkurrieren und schon gar nicht deren aus mangelndem Umweltschutz und fehlenden Sozialleistungen resultierende Lebensrisiken übernehmen, also nicht ÝbilligerÜ werden. Folglich müssen wir, um konkurrenzfähig zu bleiben, ÝbesserÜ werden. Wir müssen mehr in Bildung und Ausbildung investieren. Das ist zwar ein Gemeinplatz jeder politischen Festrede, aber seit Jahren folgen ihm keine Taten, denn dieselben Politiker, die das sonntags gebetsmühlenartig beschwören, kürzen uns montags die Mittel«, kritisiert Freese.
Wirtschaftliche Folgen der Globalisierung, wie der Verlust von Arbeitsplätzen an Niedriglohnländer und den immer kleiner werdenden Spielräumen der Politik angesichts des Kapitals, das in Sekundenschnelle ohne Rücksicht auf soziale Folgen, nur mit Blick auf die höchsten Profitchancen, um den Globus verschoben werden kann, sind nicht alles. Aussagen der Politiker zeigen, wie hilflos sie den ungewollten Globalisierungsfolgen gegenüberstehen. Was nutzt der stolze Verweis darauf, dass Deutschland Exportweltmeister sei, wenn immer mehr Teile für die exportierten Maschinen in Drittländern gefertigt werden, fragt Freese.
Nicht nur Geld- und Warenströme fließen schneller, westliche Lebensformen breiten sich aus. Zwei Beispiele für die zunehmende Uniformität, die die Verlust in anderen Kulturen bedeuten, nannte der Wissenschaftler: Auf den Fidschi-Inseln galten seit tausend Jahren nur dicke Frauen als schön, aber als dort in den Neunzigern amerikanische TV-Serien empfangen werden konnten, lösten die mit ihren schlanken Akteurinnen eine Welle der bis dahin völlig unbekannten Magersucht aus. Für Globalisierungsgegner ist dies ein Beispiel dafür, dass der weltweite Export amerikanischer Schönheitsideale andere Kulturen zerstört.
In Hong Kong, wo einst das wilde Drängeln an der Tagesordnung war, hat McDonaldÕs 1975 mit Hilfe hübscher junger Frauen als Ordner die Sitte des Schlangestehens eingeführt und damit eine englische Tugend zum Stil der chinesischen Mittelklasse gemacht. Zudem hat McDonaldÕs vielen Ländern Asiens und Lateinamerikas saubere Toiletten und damit neue hygienische Standards beschert. Für Globalisierungsfreunde sind dies Beispiele dafür, dass der Export westlicher Standards weltweit die Lebensqualität verbessert.
Peter Freese plädiert dafür, Globalisierung nicht nur aus westlicher Perspektive zu sehen, erinnert an die Übernahme von Kartoffeln, Kaffee, Schokolade, Gewürze und vielem anderen aus fremden Kulturen. Eins steht für ihn fest: »Ich denke, die Leute lügen, die sagen, dass westlicher Einfluss anderen und angeblich ÝrückständigenÜ Ländern gut tue, gleichzeitig die Ablösung der Bratwurst durch den Döner als Indiz für Überfremdung beklagen.«
Um in Deutschland bessere Bildung und Ausbildung zu erreichen, fordert Freese, dass die Lehrerfortbildung verbindlich werden muss. »Sie können dafür ein bis zwei Tage in den Ferien aufbringen.« Die freiwillige Fortbildung besuchten diejenigen nicht, die es am dringendsten nötig hätten, so die Einschätzung des Experten, der etwa 1000 Lehrer auf die Schüler losließ, »manche mit ungutem Gefühl«. Er plädiert dafür, dass Englischlehrer ein Pflichtsemester absolvieren müssten, um Auslandserfahrungen zu sammeln. Auch sollten die »häufig entsetzlich bodenständigen jungen Menschen ins Ausland gehen, um den Ansprüchen einer globalisierten Welt zu genügen«.
Richtig sauer ist Freese auf die Kultusministerkonferenz. »Das ist die überflüssigste Konferenz, so lange die Anerkennung von Scheinen eines Studenten, der von Kassel nach Paderborn wechselt so schwierig ist.« Auch sei ihm unverständlich, dass für fast jedes Bundesland eine extra Schulbuchausgabe gemacht werden müsse. Selbst in dem politisch neutralen Fach Englisch müssten Varianten erarbeitet werden. Das sei nicht nur teuer, sondern erschwere den Kindern auch das Lernen, wenn die Familie umzieht.

Artikel vom 01.12.2005