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Gar so alt sind die Bräuche zum Weihnachstfest gar nicht

Adventskranz, Kalender, Plätzchen und Christbaum seit 19. Jahrhundert

Von Dietmar Kemper
und Jörn Hannemann (Fotos)
Detmold (WB). Eine Ofenplatte aus dem 17. Jahrhundert erzählt die Weihnachtsgeschichte. Sie hängt im Lippischen Landesmuseum in Detmold. Dort schildern Volkskundler anhand von mehr als 1000 Ausstellungsstücken Ursprung und Bedeutung der Bräuche in der Weihnachtszeit. Adventskalender, Baumschmuck, Engel, Krippenfiguren, Liederbücher und Bastelanleitungen symbolisieren »Weihnachten zwischen Erwartung und Erfüllung«.

Unter diesem Titel haben das Lippische Landesmuseum und das Seminar für Volkskunde und Europäische Ethnologie der Universität Münster einen Überblick erarbeitet, der so manche Überraschung birgt. »Die Bräuche sind keineswegs sehr alt, sondern vielfach erst im 19. Jahrhundert entstanden«, erzählt die Referentin für Volks- und Landeskunde des Museums, Imke Tappe-Pollmann. Adventskerzen entzündete vermutlich als erster der Pfarrer Johann Hinrich Wichern im »Rauhen Haus«, einer Erziehungsanstalt in Hamburg. Bei seinen Andachten Mitte des 19. Jahrhunderts steckte der Seelsorger wochentags kleine und sonntags große Kerzen an: 24 bis Weihnachten. In Lippe sind Adventskränze mit vier Kerzen seit 1930 nachgewiesen.
Hamburg soll ebenfalls Ursprungsort der Adventskalender sein. So beschreibt die Leiterin einer Knabenschule, ebenfalls Mitte des 19. Jahrhunderts, in einem Kinderbuch, wie die Kleinen jeden Abend ein biblisches Bild an die Wand geheftet bekommen und dazu die passende Geschichte hören, bis 24 Tage vorbei sind. Als Erfinder des Kalenders in gedruckter Form gilt die Kunstanstalt Reichhold & Lang in München: 1908 brachte sie das erste Exemplar mit Bildern zum Ausschneiden heraus.
Schokoladenstückchen hinter den Türen sind erst seit der Wirtschaftswunderzeit üblich. Die Lipper warfen die geplünderten Kalender übrigens nicht weg. »Im nächsten Jahr wurden sie wieder aufgehängt, diesmal ohne Schokolade«, weiß Tappe-Pollmann, die auf die symbolische Bedeutung der Adventskalender verweist: »Sie machen die Zeit und das Warten sichtbar.«
Das Plätzchenbacken kam in Lippe erst in den 1880er Jahren auf. Noch 50 Jahre später waren Kekse und Spekulatius die Ausnahme, gebacken wurde mit Zucker, Mandeln und Streuseln belegter »Platenkuchen«.
Weihnachtsbäume sind in Lippe erstmals 1822 belegt. Einen erhielt damals die Mutter des Dichters Christian Friedrich Grabbe in Detmold. Ihren »Lichterbaum« schmückten die Einheimischen erst mit Äpfeln und Nüssen, später mit Kugeln, Vögeln, Glöckchen, Miniatur-Posaunen und Kerzen. Die Ausstellung zeigt aber auch ausgefallenen Schmuck des 20. Jahrhunderts aus dem thüringischen Lauscha und dem böhmischen Gablonz: Eisbären, Spinnen, Monde und Motorräder bevölkern hier den Baum.
Auch auf die Bescherung mussten die Jungen und Mädchen fast 1900 Jahre warten. Bis die Kindheit als eigenständige Lebensphase anerkannt wurde, galten sie als kleine Erwachsene. Die Zeit bis zur Bescherung nutzten Eltern dazu, ihre Kinder pädagogisch zu lenken. Ihr Argument: Nur artige Jungen und Mädchen werden belohnt. Geschenke gab es nach dem Kirchbesuch am ersten Weihnachtstag. Bis in die 1930er Jahre spielte der Heilige Abend als Feiertag keine Rolle: Die Menschen arbeiteten, reinigten anschließend Haus und Hof und fütterten das Vieh. Selbstgemachte Geschenke waren die Regel, wie Bastelanleitungen Ende der 1950er Jahre belegen.
Erst seit 1872 befördert die Post Weihnachts-Grußkarten. Viel Platz für liebe Worte blieb nicht. Imke Tappe-Pollmann: »Bis 1905 musste man auf die Vorderseite der Karte schreiben, denn die Rückseite blieb den postalischen Angaben vorbehalten.«
Die Ausstellungsmacher konzentrierten sich auf die Phase der Erwartung, weniger auf die Bescherung als vermeintliche Erfüllung. »Wie wollen Sie Enttäuschung darstellen, etwa durch einen leeren Gabentisch?«, fragt Tappe-Pollmann. Es sei schwer, Bräuche in einem Museum aufzubereiten. Obwohl jeder den Heiligen Abend und die beiden Festtage kenne und liebe, fehlten in Lippe Gemälde von privaten Weihnachtsfeiern völlig.
Wenngleich in diesen Tagen wieder alle über Weihnachten reden, greifen die Kulturschaffenden das Thema nur selten auf. »Das Lippische Landesmuseum ist 170 Jahre alt, aber eine Ausstellung über Weihnachtsbräuche hat es hier noch nie gegeben«, bekennt Leiter Rainer Springhorn. Werden sich Weihnachtsbräuche erhalten? »Als Orientierungshilfe werden sie wichtig bleiben«, ist Imke Tappe-Pollmann überzeugt.
Widerstandsfähig sind sie auf jeden Fall. Die Geschmacksverirrung der Nazis, die das Christkind durch Frau Holle ersetzen wollten, ist heute nur noch eine groteske Randnotiz.
Die Ausstellung »Weihnachten: zwischen Erwartung und Erfüllung« ist noch bis zum 8. Januar im Museum, Ameide 4, in Detmold zu sehen. Geöffnet ist dienstags bis freitags von 10 bis 18 Uhr sowie am Wochenende von 11 bis 18 Uhr (Telefon: 05231/99250).

Artikel vom 24.12.2005