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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Christoph Freimuth


Wenn Besuch kommt, muss alles vorbereitet sein. Da ist viel zu tun. Genau wie jetzt in der Adventszeit, wo Geschenke gekauft werden, das Haus dekoriert und auf Vordermann gebracht wird. Bei manchem ist der Weihnachtsputz sogar noch gründlicher als der Frühjahrsputz. Aber worauf bereiten wir uns in der Adventszeit eigentlich vor?
In einer Geschichte wird von einer Frau erzählt, die erfuhr, dass Gott zu ihr kommen wollte. »Zu mir?«, dachte sie. »In mein Haus?« Sie rannte durch alle Zimmer, lief die Treppe hoch bis zum Dachboden und wieder runter bis in den Keller. »Unmöglich!«, rief sie. »Unmöglich, hier kann ich keinen Besuch empfangen. Alles dreckig. Alles voller Gerümpel. Kein Platz zum Ausruhen. Keine Luft zum Atmen.« Sie riss Fenster und Türen auf. »Schwestern, Freunde!«, rief sie: »Helft mir aufräumen!«
Die Frau nimmt es für bare Münze, dass Gott zu ihr kommen wird. Und wir? Rechnen wir auch damit? Gott kommt zu den Menschen, das ist es, was wir an Weihnachten feiern. Vielleicht erwarten wir zu Weihnachten einfach zu wenig? Ein bisschen Festtagsstimmung, ein wenig Frieden, ein paar Geschenke, gut, aber dass Gott wirklich kommt - erwarten wir das? Oder möchten wir vielleicht gar nicht, dass Gott kommt? Denn wenn Gott sein Kommen ansagt, steht nach der grenzenlosen Überraschung erst mal das Erschrecken. Wie sieht es bei mir und in mir aus? In diese Unordnung kommt Gott? Das geht doch nicht! Die Frau sieht auf einmal ihr Leben mit ganz anderen Augen und weiß: Ich muss aufräumen.
Dazu soll ja die Adventszeit dienen. Vorbereitungszeit nicht auf ein Fest, sondern auf das Kommen Gottes. Da müssen wir reinen Tisch machen und in uns Platz schaffen für ihn. Da muss manches weg, der alte Zorn, die immer wieder hoch kommende Bitterkeit, raus mit dem Staub, der sich über den Glauben legt und unsere Hoffnung lahm werden lässt und unsere Liebe matt.
Was für eine Riesenaufgabe, meinen Sie? Ja, tatsächlich, es ist eine Riesenaufgabe. Und wie diese Frau merken wir: Das schaffen wir nicht allein! »Helft mir aufräumen!«, schreit sie.
Sie begann ihr Haus auszufegen, und durch die aufgewirbelten Staubwolken sah sie, dass ihr einer zur Hilfe gekommen war. Sie schleppten zusammen das Gerümpel vors Haus, schrubbten Treppen und Böden, putzten Fenster. Aber immer noch war viel Dreck an allen Ecken und Enden. »Das schaffen wir nie!«, schnaufte die Frau. »Das schaffen wir!«, sagte der andere.
Wie sehr ist sie beschäftigt, die arme Frau. Zu beschäftigt ist sie. Ich denke, das kennen wir alle gut. Die Frau sah sich ihren mutmachenden Mithelfer nicht einmal an. Die beiden plagten sich den ganzen Tag. Am Abend dann deckten sie in der Küche den Tisch. »So«, sagte die Frau. »Jetzt kann er kommen, mein Besuch! Jetzt kann Gott kommen. Wo er nur bleibt?«
Eben, wo bleibt Gott denn? Leute, deren Warten immer wieder enttäuscht wurde, treffen keine Vorbereitungen mehr. Wo bleibt er denn? So dürfen wir fragen, jeder darf so fragen, wenn er dabei offen ist für die ungewöhnliche Antwort. Denn so geht die Geschichte aus:
Als die Frau fragte: »Wo bleibt Gott nur?«, sagte ihr unbekannter Helfer: »Aber ich bin ja da!« und setzte sich an den Tisch: »Komm und iss mit mir!«
»Ich bin ja schon da!«, sagt Gott. Sehen Sie, das habe ich wieder neu gelernt an dieser Geschichte. Alle meine Vorbereitungen, auch die Änderungen in meinem Leben, die schaffe ich nicht allein. Aber ich brauche sie auch nicht allein zu schaffen. Gott ist da und hilft mir dabei. Und das Zweite: Gott ist nicht auf Termine festzulegen und auch nicht auf meine Vorstellung, wie er denn zu mir zu kommen hat. Und so wird das Kommen Gottes immer ganz anders sein, als ich es mir ausgemalt habe. So wie damals alle Welt einen König erwartet hat und Gott als kleines Kind im Stall zur Welt gekommen ist. Aber eines wird immer gleich sein: Gott kommt - wie es die Geschichte erzählt - als Helfer. Nicht umsonst bedeutet der Name »Jesus«: Gott hilft, Gott rettet.
Nur eine schöne Geschichte? Nein, ich denke, es ist unsere Geschichte, wir leben sie. Nur der Schluss ist noch offen, wir sind noch nicht am glücklichen Ende. Noch stecken wir in den Vorbereitungen. Aber wenn wir im Advent so leben, dann dürfen wir gespannt sein, wie Gott zu uns kommt.
Ihnen einen gesegneten Ersten Advent
Ihr Pfarrer Christoph Freimuth

Artikel vom 26.11.2005