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»Sind für jede Spende dankbar«

Katholische Frauen sammeln für schwerbehinderten Studenten Martin Ryng

Von Sabine Schulze
Bielefeld (WB). Ein normales Leben wird Martin Ryng niemals führen können: »Ich kann nie eine Frau umarmen, kein Kreuzzeichen machen, mir nicht die Tränen abwischen und nie den Schnee unter den Schuhen spüren«, sagt er. Denn der 20-jährige junge Pole ist von Geburt an behindert: Er hat keine Beine, und seine Hände sind direkt an den Schultern angewachsen. Martin braucht immer fremde Hilfe. Und er ist auf die finanzielle Hilfe der WESTFALEN-BLATT-Leser angewiesen.

Seit September 2004 lebt Martin Ryng in Bielefeld, seit einigen Monaten studiert er Grafik am Fachbereich Gestaltung der Fachhochschule Bielefeld. Ein Computer hilft ihm dabei. Wenn seine Kommilitonen zu Stift, Tusche oder Schere greifen, arbeitet er mit dem Rechner. Sein Ziel ist es, mit dieser Ausbildung eines Tages für sich selbst sorgen zu können, etwas zu schaffen, ein Stück Unabhängigkeit zu gewinnen und seinen eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten. Bis dahin aber benötigt Martin Ryng Unterstützung.
Ein Mensch, der sich seit Jahren für den jungen Mann einsetzt, ist Marlies Eichelmann aus Lichtenau. Die einstige Dekanatsvorsitzende der Katholischen Frauen erfuhr anlässlich eines Besuches junger Polen von Martin und seiner schweren Behinderung. »Er ist contergangeschädigt. Seine Mutter wurde während der Schwangerschaft nach einer Gallenkolik mit dem Medikament behandelt - zu einem Zeitpunkt, als es in Deutschland längst aus dem Verkehr gezogen war«, empört sie sich.
Die engagierte Christin zeigte bei einer Dekanatskonferenz ein Foto von Martin Ryng, und spontan wurde beschlossen, für ihn zu sammeln. Das aber dürfe nicht alles sein, befand Marlies Eichelmanns Ehemann. Und als die Frauen erfuhren, dass Martin Ryng gerne in Deutschland studieren würde - in Polen ist ihm dies wegen seines Handicaps unmöglich -, wandte sich Marlies Eichelmann hilfesuchend an den damaligen Generalvikar und heutigen Paderborner Weihbischof Manfred Grote. Der wiederum bat den Geschäftsführer des Bielefelder Franziskus-Hospitals, im Volksmund nur »Klösterchen« genannt, um Hilfe.
Dr. Georg Rüter zögerte nicht lange, denn »das Schicksal der Familie ist wirklich herzzerreißend.« Er stellte Martin und seinem Vater Marek eine Wohnung in einem alten Haus gegenüber dem Krankenhaus zur Verfügung, und in Eigenregie richteten Mitarbeiter des Krankenhauses - allen voran Rüters Sekretärin Regina Akaj - das Haus wohnlich her. Die Paderborner Caritas besorgte einige Möbel, die Bank für Kirche und Caritas gab ein kleines Startkapital, und im September 2004 konnten Martin und Marek Ryng endlich einziehen.
»Wenn Martin jedoch keine weitere finanzielle Unterstützung erhält, wird er sein Studium in Deutschland nicht beenden können«, fürchtet Marlies Eichelmann. Denn die Familie ist arm. Martin Ryngs Vater hat schon als Erntehelfer gearbeitet, muss sich aber ansonsten um seinen Sohn kümmern. Er trägt ihn aus dem Bett ins Bad und vom Esstisch an den Schreibtisch, rasiert ihn und bereitet das Essen zu. Martin versucht, so selbstständig wie möglich zu sein. Ein Rollstuhl gibt ihm ein wenig Freiheit, doch wegen seines Handicaps sind dem Bemühen Grenzen gesetzt.
»Marek Ryng würde wahnsinnig gerne arbeiten, wenn sein Sohn in der Fachhochschule ist«, sagt Regina Akaj. Aber die Arbeitszeiten müssten eben auf die Bedürfnisse des Sohnes abgestimmt sein. Auch Martins Mutter, die daheim in Polen, in der Kleinstadt Frankenstein unweit von Breslau, mit Martins älterem Bruder und seiner jüngeren Schwester lebt, kann nichts beisteuern. Denn sie ist schwer an Krebs erkrankt. Die Ärzte in ihrer Heimat hatten sie schon aufgegeben, die Ärzte im »Klösterchen« aber haben die Frau - ebenfalls unentgeltlich - im Frühjahr behandelt und zunächst gerettet.
»Die Familie lebt von einer minimalen Unterstützung des polnischen Staates, von einer kleinen Zuwendung der Delphin-Stiftung in Bonn-Bad Godesberg für contergangeschädigte Kinder im europäischen Ausland und von Spenden«, erklärt Marlies Eichelmann. Die Spendengelder, die die katholischen Frauen um Winifred Zinselmeier und Margarete Steffen aus Verne/Salzkotten für Martin Ryngs Aufenthalt hier gesammelt und der Paderborner Caritas zur treuhänderischen Verwaltung überlassen hatten, sind bald aufgebraucht. »Wir wären für Hilfe, für jede kleine Spende dankbar«, betont Marlies Eichelmann. Sie hofft, dass sich viele Leser ansprechen lassen und Martin helfen wollen. »Sein Schicksal ist schon schwer genug. Es wäre schön, wenn sein Traum von einem Studienabschluss nicht zerstört würde.«
Denn trotz allem ist Martin Ryng ein zufriedener, ein hoffnungsfroher und dankbarer Mensch. Und auch Regina Akaj hofft, dass Martin, dem so vieles im Leben verwehrt bleiben wird, die Chance auf ein Studium nicht genommen wird.

Artikel vom 06.12.2005