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Junger Pianist spielt sich in
die Herzen der Zuhörer

Julian Jia (14) begeistert mit Werken von Bach

Herford (HK). Gespannte Erwartung herrschte im beinahe ausverkauften Studio der Philharmonie: Der chinesische Pianist Julian Jia war angekündigt, geboren 1991, also 14 Jahre jung, mit einem anspruchsvollen Programm. Gegenwärtig studiert er an der Robert-Schumann-Hochschule in Düsseldorf.

Sein Foto erinnert an Bildnisse des jugendlichen Mendelssohn, der seinerzeit Goethe bezauberte. Als er erschien, unbefangenen Schrittes, mit einem freundlichen Lächeln auf dem Gesicht, flogen ihm gleich alle Herzen zu.
Mit dem Italienischen Konzert von Bach machte er seinen Einstand. Dieses Konzert bewies bereits Jias Fähigkeit zu großem Differenzierungsvermögen, weil der Solist abwechselnd auch die Rolle des Orchesters übernehmen musste.
Der langsame Mittelsatz war eine weitgespannte Arie, deren größte Schwierigkeit darin bestand, die Spannung auch noch in der zweiten Hälfte aufrecht zu halten. Jia schaffte das durch einen jugendlichen Druck auf das Tempo. Schön war nach dem sprudelnden Schlusssatz der Anschluss mit einem Präludium und Fuge aus Schostakowitschs op. 87: Da wurden die Bezüge zum großen Vorbild Bach so richtig deutlich. Beethovens »Waldsteinsonate« op. 53 fiel dagegen etwas ab. Reife Kunst waren die überraschend zarten Pianomelodien direkt nach schroffen Fortissimo-Akkorden. Die Gewalt des Tobens in den Bässen dagegen war gelegentlich vielleicht etwas zu viel des Guten.
Bei den Werken von Chopin und Liszt, die Jia nach der Pause zu Gehör brachte, merkte man allerdings erst, wo sein Herz schlägt. Wie er die drohende Linie im Bass bei dem Nocturne op. 48 Nr. 1 zur Wirkung brachte, das war großartig, ebenso wie seine ebenso konzentrierten wie verspielten Läufe und Kaskaden in Chopins »Andante spianato und Polonaise brillante« op. 22. Dieses Werk besaß auch eine Orchesterbegleitung, aber man konnte sie ruhig fortlassen, denn mit Ausnahme einer schönen Hornstelle gegen Schluss hat das Orchester wenig zu melden. Jia nutzte die Freiheit des Solospiels für die Tempogestaltung, die ihm mit viel Geschmack gelang. Fast trotzig mutete er anschließend dem Publikum ein äußerst herbes Liszt-Stück zu mit dem Titel »Le mal du pays« (Das Elend des Landes). War das eine politische oder persönliche Anspielung? Die Versöhnung erfolgte mit zwei genial gestalteten »Campanella«-Etüden und der 6. ungarischen Rhapsodie. Der geklatschte und getrampelte Beifall des Publikum veranlasste den jungen Virtuosen zu drei Zugaben, davon eine von chinesischem Tonfall. Gerd Büntzly

Artikel vom 25.11.2005