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Harzt IV macht das
Mathe-Abi schwierig

Wie wirken sich Reformen im öffentlichen Leben aus?

Von Annemarie Bluhm-Weinhold
Steinhagen (WB). Seit zehn Monaten sind die Arbeitsmarktreformen und Hartz IV in Kraft. Dass sich das Steinhagener Sozialamt mit unerwartet hohen Fallzahlen und fehlerhaften Computerprogrammen quält, das ist hinlänglich bekannt. Aber wie wirkt sich Hartz IV auf andere Bereiche des öffentlichen Lebens aus?

Das WESTFALEN-BLATT fragte nach sammelte einige Beispiele. Thema Veranstaltungen: Dass weniger Geld da ist, das hat sich, so erklärt Bürgermeister Klaus Besser, etwa bei der Sommerkirmes gezeigt: »Da waren die Besucherzahlen rückläufig und die Umsätze deutlich geringer.«
Die Schule - ein wichtiger Punkt, bei dem sich Beobachtungen der PISA-Studie bestätigen. Denn Hartz IV führt zu Bildungsnachteilen, weil sich Eltern größere Anschaffungen schlicht nicht leisten können. Etwa den wissenschaftlichen Taschenrechner, der im Hinblick auf das Zentralabitur von 2007 an etwa an der Gesamtschule Quelle (die besucht Bessers Tochter Melanie) als verpflichtend beschlossen wurde, aber schon in der Sammelbestellung stolze 85 Euro kostet. »Wenn Eltern das nicht zahlen können, hat ihr Kind also keine Chance, das Abi in Mathe zu machen«, so Besser: Eine eindeutige Benachteiligung der sozial schwächer gestellten Kinder.
Auch in puncto Offene Ganztags-Grundschule offenbart sich ein Problem. Die zehn Euro Gebühr pro Monat sind meist noch drin. Wo der Geldbeutel mancher Familien aber nichts mehr hergibt, so die Beobachtung des Bürgermeisters, ist beim Essensgeld - 45 Euro pro Monat: Somit wird das Kind auch nicht für die Offene Ganztagsgrundschule angemeldet - oder wieder abgemeldet: »Obwohl vielleicht aus pädagogischer Sicht bei Erziehungs- oder Lerndefiziten der Besuch äußerst sinnvoll wäre«, so Besser. Die Zahlen belegen es: Bei einer allein erziehenden Mutter kann man von rund 680 Euro monatlich ausgehen (Hartz IV und Zuschläge zusammengerechnet, Kindergeld, Unterhaltszahlungen des Vaters, Zuschüsse für Miete und Heizung an- oder abgerechnet). Doch davon muss sie Lebensmittel, Kleidung und eben auch größere Anschaffungen bezahlen.
Besondere Härten sieht der Bürgermeister vor allem bei der Wohnungsfrage: Da verliert ein 45-Jähriger durch die Insolvenz seiner Firma seinen Job, rutscht nach einem Jahr aus dem ALG I heraus und muss dann wegen der Festsetzungen bei der Mietobergrenze seine Wohnung aufgeben. Eine günstigere beliebige andere darf er sich aber nicht suchen, sondern muss eine der Vorgegebenen nehmen. Besser: »Bekommt er nun nach einem halben Jahr wieder Arbeit, sitzt er in einer Wohnung, in die er gar nicht wollte.« Ältere Langzeitarbeitslose sind für den Bürgermeister die Verlierer der Reform: »Weil sie schnell aus dem ALG I herausfallen und mitunter gar keine Ansprüche haben, wenn noch Vermögen da ist oder der Partner arbeitet.«

Artikel vom 22.11.2005