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»Der Frieden ist die Befriedigung«

Für den Gütersloher Fußball-Richter sind die Ausschreitungen von Istanbul eine Schande

Von Marco Purkhart (Text und Foto)
Gütersloh (WB). Hans Strathoff ist der Fußball-Richter von Gütersloh. Seit zehn Jahren entscheidet der 54-Jährige Rechtsanwalt aus Rheda als Vorsitzender der Fußball-Kreisspruchkammer über die sportlichen Schicksale in Ungnade gefallener Kicker. Strathoff ist ein umgänglicher Zeitgenosse und möchte gar nicht der »Harte Hans« sein - doch die Delikte der Täter lassen ihm allzu oft keine Wahl. Im WB-Sportstudio gewährt der doppelte Jurist einen Einblick in seine Gedankenwelt.

Herr Strathoff, wie sind Sie auf die Idee gekommen, Fußball-Richter zu werden?Strathoff: Wie so oft bei der Vergabe von Ämtern, bin ich nicht freiwillig dazu gekommen. Hermann Korfmacher, damals noch Gütersloher Fußball-Kreisvorsitzender, hat mich 1993 am Telefon überredet, zunächst als Beisitzer in die Kreisspruchkammer einzutreten. Ich hätte als Jurist schließlich Ahnung von der Materie. Damit war der Anfang gemacht. 1995 musste der langjährige Kammer-Vorsitzende Richard Wittenbrink vom SV Avenwedde aus Altersgründen ausscheiden. Weil es keinen Nachfolger gab und ich wegen meines Berufs als Jurist förmlich prädestiniert war, saß ich auf einmal auf dem Richter-Stuhl. Wer hätte es sonst machen sollen?
Welche Empfindung überwiegt, wenn sie heute den Gerichts-Saal betreten: die Lust auf die anstehende Tätigkeit oder der Frust über einen weiteren Fall von fehlender Fairness, der da vor Ihnen angeklagt sitzt?Strathoff: Weder noch. Ich habe als Richter eine ehrenamtliche Aufgabe, an die ich wertneutral herangehen muss. Ich möchte dazu beitragen, dass der Fußball weiter möglich bleibt und die Schiris unbeschadet vom Platz gehen können. Für mich ist es lediglich befriedigend, wenn sich beide Parteien nach dem Prozess die Hand reichen und ehrlich versprechen, dass sie beim Rückspiel friedlicher miteinander umgehen werden. In diesem Fall bin ich sogar für mildere Strafen. Ich bin nicht heiß darauf, die Leute möglichst hart zu verknacken. Wenn es sich allerdings um kriminelle Delikte wie schlimme Tätlichkeiten handelt, hört's bei mir auf. Dann setzt es knallharte Sanktionen.
In zehn Jahren als Spruchkammer-Chef haben Sie unzählige Verhandlungen geführt und viel erlebt. Was war in dieser langen Zeit aus Ihrer Sicht der unangenehmste Fall?Strathoff: Ich erinnere mich an ein Beispiel, da hat die halbe Mannschaft mit gnadenloser Brutalität den Schiedsrichter zusammengetreten. Besonders schlimm war, dass der Betreuer dieser Truppe während der anschließenden Verhandlung versucht hat, die Aufklärung dieses Falls mit Lügen absichtlich zu torpedieren. Am Ende hat sich sogar herausgestellt, dass er selber zu den Schlägern gehört hat. Das war selbst für einen alten Haudegen wie mich ein ziemlich großer Schock.
Haben Sie angesichts solcher Extrem-Erlebnisse schon einmal mit dem Gedanken gespielt, das Handtuch zu werfen?Strathoff: So verzweifelt war ich noch nie, aber manchmal habe ich schon das Gefühl, dass ich gegen Windmühlen ankämpfe. Wenn ein Spieler zum dritten Mal vor dem Sportgericht steht, scheint er wirklich »belehrungsresistent« zu sein. Aufhören werde ich deshalb jedoch nicht, mit 35 bis 40 Fällen pro Saison hält sich das Pensum in machbarem Rahmen. Außerdem steht wie damals bei meinem Amtsantritt kein anderer Nachfolger parat.
Der Kreis Gütersloh hat zuletzt steigende Gewalt im Fußball verzeichnet. Am so genannten »Schwarzen 1. Mai« erfolgten gleich zwei Übergriffe auf Schiedsrichter und zu Beginn der laufenden Serie hagelte es reihenweise Spielabbrüche. Worin liegen die Gründe dafür?Strathoff: Fußball ist ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Menschen, die in dieser für Deutschland sicherlich schwierigen Zeit keine Perspektive sehen, erleben Erfolge oftmals nur im Sport und finden dort Bestätigung. Wenn man dann aber 0:11 verliert und auch noch Rot kassiert, herrscht in jeder Beziehung Frust. Dann brennen die Sicherungen durch.
Können Sie den Eindruck bestätigen, dass es sich dabei auffällig häufig um ausländische Spieler handelt?Strathoff: Ich finde es zu platt, wenn man sagt, die Ausländer sind immer dabei. Das muss man differenzierter sehen - die meisten haben nämlich einen deutschen Pass. Es ist keine Frage der Nationalität, sondern der Mentalität. Da sind gerade manche Südländer sehr temperamentvoll und anfällig für Ausraster. Ich muss die Jungs allerdings auch mal in Schutz nehmen: Ein Verein wie Türkgücü Gütersloh ist nach früheren Problemen seit Jahren nicht mehr negativ in Erscheinung getreten. Die haben gelernt und verhalten sich sehr vorbildlich!
Gibt es präventive Maßnahmen, um solchen »Ausrastern« langfristig vorzubeugen?Strathoff: In dieser Saison gibt es bislang 17 Fälle für die Kammer. Doch die Qualität ist nicht mehr so schwerwiegend wie im vergangenen Jahr. Einen großen Anteil daran hat Jürgen Tönsfeuerborn. Er geht seit zwei Jahren als »Problemlotse« nach den Verhandlungen auf die verurteilten Personen und Vereine zu, um gemeinsam die Ursachen für den Konflikt zu ergründen. Das wird gut angenommen. Ansonsten sollte sich jeder Fußballer vornehmen, seinem Gegenüber mit Toleranz zu begegnen. Sie können ja voll in die Zweikämpfe gehen - aber dabei muss man sich mit Respekt behandeln. Um so beschämender sind die Vorkommnisse nach dem WM-Qualifikationsspiel in Istanbul zwischen der Türkei und der Schweiz. Dass auf solch einem hohen Niveau und vor den Augen der Welt reihenweise Fäuste und Füße fliegen, ist eine Schande für unseren Sport. Solche Jagdszenen dürfen gerade auf Nationalmannschaftsebene nicht passieren.

Artikel vom 19.11.2005