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Fleischerei muss die
Überstunden bezahlen

Fleischermeister zieht bis vor das Bundesarbeitsgericht


Herzebrock-Clarholz/Halle (WB). Ein Grundsatzurteil von besonderer Tragweite hat jetzt ein Fleischermeister mit Hilfe der Haller Kanzlei Reingruber Kerkhoff erstritten: Das Bundesarbeitsgericht Erfurt entschied, das eine Regelung im Arbeitsvertrag ungültig ist, die dem Mitarbeiter weniger als ein Vierteljahr Zeit lässt, jegliche Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag geltend zu machen.
Der jetzt entschiedene Fall beginnt im Sommer 2003 in einem Fleisch verarbeitenden Betrieb in Herzebrock-Clarholz. Fleischermeister Christian Bonkhoff hat seinen neuen Job angetreten. Nach zwei Monaten zählte er 62,5 Überstunden. 40 Stunden waren sein Wochensoll, teilweise waren es mehr als 48 Stunden - die gesetzlich erlaubte Höchstgrenze. Als der 45-Jährige fünf Monate später die Kündigung bekam, forderte er von seinem Chef eine Vergütung für die geleisteten Überstunden. Die Firma verweigerte jedoch die Zahlung, wies darauf hin, dass die im Arbeitsvertrag vereinbarte, zweimonatige Frist zur Nachforderung abgelaufen sei.
Als der Haller dagegen klagte, gab das Bielefelder Arbeitsgericht seinem Chef Recht. Bonkhoff und sein Anwalt Helmut Reingruber wollten sich damit jedoch nicht zufrieden geben, riefen das Landesarbeitsgericht Hamm an. Die Hammer Richter entschieden, dass eine Zwei-Monats-Frist unzulässig kurz sei. Sie verurteilten den Chef zu einer Nachzahlung von gut 750 Euro. Doch der ließ nicht locker, forderte das Bundesarbeitsgericht in Erfurt auf, die ungewöhnliche Entscheidung des Landesarbeitsgerichts zu prüfen. Ende September stimmte das oberste Arbeitsgericht zur Freude von Christian Bonkhoff und seinem Anwalt Reingruber den Hammer Kollegen zu: Fristen unter drei Monaten sind unangemessen kurz - und damit unwirksam (Aktenzeichen 5 AZR 52/05).
Bonkhoffs Chef muss zahlen.
Der Erfurter Senat nahm - obwohl es nicht Gegenstand des Verfahrens war - auch Stellung zu dem Thema, wie mit Überstunden umzugehen ist, die über die gesetzliche Arbeitszeit hinausgehen. Hierbei greife, so die Richter, eine zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer getroffene Abgeltungsvereinbarung überhaupt nicht. Deshalb könne der Mitarbeiter trotz des gesetzlichen Verbots zu jeder Zeit einen Ausgleich verlangen.
In der Folge dieses Urteils sollten Personalchefs jetzt ihre Musterarbeitsverträge prüfen und Fristen zur Geltendmachung aller Ansprüche auf mindestens drei Monate verlängern, so Rechtsanwalt Reingruber. Arbeitnehmern empfiehlt er, nicht erst nach einer Kündigung den Ausgleich für zum Beispiel geleistete Überstunden zu fordern: »Dann ist es in den meisten Fällen zu spät.« Eine Nachforderung sollte zwingend schriftlich und per Einschreiben mit Rückschein erfolgen.

Artikel vom 16.11.2005