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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrerin Uta Bültermann (Spradow)


»Ach, dieser Monat trägt den Trauerflor...« - so beginnt das Gedicht »Der November« von Erich Kästner. Ein düsterer Monat, so scheint es. Kästner findet dafür die passenden Worte. Er spricht davon, dass die Wälder weinen und die Farben sterben, und dass die Tage grau sind wie nie zuvor.
Zu diesem grauen Monat passen die vielen, stillen Gedenktage: Allerheiligen, Volkstrauertag, Buß- und Bettag, Totensonntag. Nicht nur die Blätter verlieren ihre Kraft und fallen vom Baum. Auch wir Menschen denken in diesem Monat besonders an unser Ende. Gerade in dieser Zeit kommen Gedanken zu Schuld und Tod.
»Der Friedhof öffnet sein dunkles Tor. Die letzten Kränze werden feilgeboten.« So fährt Kästner fort. November - wir gehen auf den Friedhof und besuchen die Gräber unserer Verstorbenen. Wir denken an die, die nicht mehr bei uns sind.
Aber ist das wirklich nur ein trüber, grauer und stiller Monat? Hat der November nicht auch seine schönen Seiten? Gerade zu Beginn war das Wetter in diesem Jahr noch sehr schön, fast zu warm für diese Jahreszeit. Viele Menschen haben Ausflüge unternommen, sind noch einmal aufs Rad gestiegen oder haben sogar ein Eis gegessen.
Zwar verlieren die Blätter ihre grüne Färbung, doch die vielen Rot- und Gelbtöne können so manches Herz erfreuen. Die Gärten werden winterfest gemacht und schon auf den kommenden Frühling vorbereitet. Jetzt ist die richtige Zeit, Drachen steigen zu lassen. Und nicht wenige Menschen genießen die Ruhe zu Hause, bei einem Tee und den ersten selbstgemachten Plätzchen. Der November - ein Monat mit zwei Gesichtern? Welches passt denn nun zu mir?
Vielleicht muss man sich gar nicht zwischen bunten Blättern und grauen Tagen, zwischen schönen Ausflügen und stillem Gedenken entscheiden. Beide Seiten gehören zu diesem Monat. Und ich habe die Chance, mich ihnen beiden zuzuwenden.
In unseren Gottesdiensten hören wir in dieser Zeit viele biblische Texte, die von der Endlichkeit der Menschen sprechen. Doch sie machen auch Mut und geben Hoffnung.
Die Schöpfung ist ja der Vergänglichkeit unterworfen, so heißt es im Römerbrief (Römer 8,20) - aber auf Hoffnung hin. Gott hat uns und diese Welt geschaffen. Wir haben einen Lebensraum. Und Gott sorgt weiterhin für seine Geschöpfe. Darauf sollen wir vertrauen.
»Und der November trägt den Trauerflor.« Das mag sein. Es gibt so manche Traurigkeit, die uns begleitet. Gleichzeitig ist da auch so vieles, was unser Leben erhellt - bunte Blätter, die im Wind aufwirbeln. Und ein wenig scheint schon ein Licht in den November hinein, auf das wir warten, das mit Jesu Geburt in unsere Welt gekommen ist.
November - nicht nur grau, manchmal ganz schön bunt.

Artikel vom 12.11.2005