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Von Michael Robrecht

Diese
Woche

Jugend und Sucht


Wenn ein junger Suchtpatient Schülern des Adolph-Kolping-Berufskollegs in Brakel seine Lebensgeschichte erzählt, dann ist das wirkungsvoller als jedes Anti-Drogenplakat. Ein solches Gespräch vergessen die Jugendlichen bestimmt nicht. Die Kolping-Diskussionsrunde im Rahmen der kreisweit laufenden Aktionswoche zur Suchtvorbeugung hat ungefähr die Wirkung wie jenes Autowrack, in dem junge Leute aus dem Kreis tödlich verunglückt sind, und das die Polizei zur Abschreckung an ihren Ausstellungsständen zeigt. Manchmal hilft eben nur die Hammermethode!
Seit 1991 gibt es die Öffentlichkeitskampagne »Sucht hat immer eine Geschichte«. Das Konzept ist auf nachhaltige Wirkung ausgerichtet, setzt weniger auf kurzfristige Effekthascherei, sondern darauf, dass sich langfristig in den Köpfen der Jugend etwas verändert. Nur der direkte Kontakt mit den Zielgruppen erhöht die Chancen, irgendetwas zu bewegen. Es ist sehr schwer, die Bevölkerung für die tieferen Ursachen von Suchtverhaltensweisen zu sensibilisieren. Kern muss die Förderung von Persönlichkeitswerten sein, die dem Missbrauch und der Abhängigkeit von gängigen Suchtmitteln wie Alkohol, Rauschmitteln oder Zigaretten entgegenwirken. Sucht fängt eben nicht mit der Einnahme einer Substanz an und hört auch nicht mit deren Absetzen auf. Unerfüllte Sehnsüchte, verdrängte Bedürfnisse, verleugnete Gefühle, fehlende Selbstsicherheit, ein instabiles persönliches Umfeld, Überforderung in Schule, Beruf und Familie sowie Stress und Druck oder einfach auch nur pure Langeweile führen zur Sucht.
Dass im Kreis Höxter unter der Schirmherrschaft des Landrats wieder 50 Kooperationspartner eine Vielzahl von Veranstaltungen organisiert haben, spricht dafür, dass die Brisanz der Thematik erkannt worden ist. Gesetzlicher Jugendschutz, Preise, schnelle Verfügbarkeit und Werbung fördern Suchtverhalten. Wir müssen uns auch klar darüber sein, dass Sucht nicht nur Missbrauch illegaler Drogen bedeutet. Heute geht es in erster Linie um legale Einstiegsdrogen wie Alkohol und Nikotin. 80 Prozent der 12-bis 14-Jährigen haben Erfahrung mit Alkohol, bei 16-Jährigen sind dies 90 Prozent. Geraucht wird schon in der Grundschule. Diese Zahlen sind erschreckend und zeigen, dass wir es mit einem gesamtgesellschaftlichen Problem zu tun haben.
Heute wissen wir, dass Abschreckung und der erhobene Zeigefinger bei Kindern und Jugendlichen nicht ankommen. Schuldzuweisungen sind sinnlos, weil die Probleme viel zu vielschichtig sind. Viele Angehörige, die zum Beispiel ein Alkoholproblem als erste erkennen, reagieren gefühlsmäßig zumeist hilflos und mit unwirksamen Appellen: Reiß dich doch zusammen! Rauch nicht!
Ausprobieren, provozieren - wenn Jugendliche auf der Discofete in der Dorfhalle oder auf dem Annentag mit Wodka und Bier experimentieren, dann immer auch mit Blick auf die Erwachsenen (»Kinder haben noch nie auf ihre Eltern gehört, aber sie immer nachgeahmt«). Die Großen sind bei Weitem keine Vorbilder. Dass die legale Droge Alkohol zum Feiern dazu gehört, wird von kaum einem in Frage gestellt.
Was also tun? Nur wenn Kinder stark sind, können sie sich den Einflüssen erwehren. Selbstbewusste und lebenstüchtige Jugendliche, die fähig sind, auch einmal Nein zu sagen, sind am besten geschützt. Die Suchtwoche wird das Problem nicht lösen, aber sie schafft etwas, was im täglichen Leben keine Rolle spielt: Es wird über Sucht und ihre Gefahren offen geredet. Und das allein ist schon viel wert. Dass Jugendliche der Partyszene, junge Aussiedler und Migranten und Kinder aus suchtkranken Familien die besondere Aufmerksamkeit der Verantwortlichen gilt, ist richtig. Sorge bereiten besonders die Jugendlichen ohne Risikobewusstsein, die am Wochenende Substanzen (Ecstasy, Hasch und harte Alkoholika) konsumieren, um immer »gut darauf« zu sein. Aktionen wie die Suchtwoche können diese Verhaltensweisen bloßlegen. Die Veranstaltungen sind aber auch nur dann nachhaltig, wenn sie wiederholt werden und keine zeitlich befristeten Sondermaßnahmen bleiben. Und: Wenn Eltern und Lehrer wieder etwas mehr erziehen, nicht alles durchgehen lassen und echte Vorbilder sein würden, dann wäre schon viel gewonnen.

Artikel vom 12.11.2005