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Weiße Fahnen gegen die IG Metall

Mitarbeiter der Firma Glowienka demonstrieren gegen ihre eigene Gewerkschaft

Von Stephan Rechlin
Gütersloh (WB). Die Fahnen wehen weiß, nicht rot. Zwei Lkws der Großwäscherei Glowienka blockieren die Zufahrt zur IG-Metall-Verwaltungsstelle am Westfalenweg. 16 Leute steigen aus, entrollen weiße Bettlaken mit Sprüchen. Sie demonstrieren - gegen ihre eigene Gewerkschaft.

Drinnen will die IG Metall gerade die Presse über ihren Widerspruch gegen den Übernahmevertrag des Wäscherei-Konzerns Berendsen informieren (das WESTFALEN-BLATT berichtete). Erst verlässt Wäscherei-Fachmann Ulrich Grocholl die Runde, später treten Hans-Werner Heißmann-Gladow und Jurist Reinhold Tönjes heraus. Sie werden von den Spruchbändern empfangen: »IG Metall, lasst uns in Ruh«, steht in schwarzer Schrift darauf, und: »IG Metall - sind Euch unsere Arbeitsplätze egal?« - »Lieber Arbeit als Hartz IV« - »Nicht nur wir waschen schmutzige Wäsche.«
Weiß ist die Farbe der Angst. Die 16 Demonstranten haben wochenlang um ihren Job gezittert, haben zur Stange gehalten, teilweise auf drei Monatsgehälter verzichtet. Alles in der Hoffnung, dass ein Investor wie der Berendsen-Konzern kommt und ihre insolvente Firma übernimmt. Viele ihrer Kollegen haben gekündigt, kassieren lieber Arbeitslosengeld I auf Basis des alten Tarifes. Sie aber sind geblieben. Und nun droht der Einspruch der IG Metall die Übernahme platzen zu lassen.
Die drei Gewerkschaftssekretäre werden auch im Januar 2006 noch Gehalt bekommen. Es fällt schwer, den Leuten klarzumachen, dass auch ihre Jobs bei der IG Metall von Verträgen abhängen, die nun bei Glowienka abgeschlossen werden sollen. Unterhalb des von Berendsen geforderten Stundenlohnes von sieben Euro kommt bald nur noch die Sozialhilfe. Zwischen 758 und 1213 Euro dürfen die Mitarbeiter nach diesem Vertrag noch im Monat verdienen - brutto. »Mit Sozialhilfe, der Miet- und Heizkostenunterstützung dürfte mancher Mitarbeiter mehr in der Tasche haben. Wofür sollen wir denn noch kämpfen?«, fragt Reinhold Tönjes.
Und dann die klaren Rechtsverstöße. Jeden kleinen Nebenverdienst müssten sich die Leute schriftlich genehmigen lassen - damit sie flexibel einsetzbar blieben. Statt Urlaubs- und Weihnachtsgeld soll es einen »Anwesenheitsbonus« geben, dessen Höhe von den jeweiligen Fehl- und Krankheitstagen abhängt. Wer mehr als sechs Tage krank ist, kriegt keinen Bonus mehr. Der Urlaubsanspruch wird von tariflichen 30 auf 25 Tage reduziert. Über die Höhe ihrer Einkünfte dürfen die Mitarbeiter mit niemandem sprechen. »Viele dieser Passagen widersprechen geltendem Recht. Wenn ich über eine rote Ampel fahre, bin ich doch auch dran«, argumentiert Hans-Werner Heißmann-Gladow.
Die Demonstranten stört das auch. Sie möchten aber erst darüber reden, wenn die Verträge unterschrieben und Berendsen übernommen hat. Einige fordern die Gewerkschafter auf, noch mal Kontakt mit dem Insolvenzverwalter und Berendsen aufzunehmen. Andere möchten von der IG Metall weiter nur in Ruhe gelassen werden. Als Ulrich Grocholl ihnen vorwirft, für diese Demonstration gezielt ausgesucht worden zu sein, rollen sie ihre Bettlaken wieder aus. Sie sind weiß, nicht rot.

Artikel vom 10.11.2005