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Das »Behindertentestament«

Erbrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten für Eltern behinderter Kinder

Von Andreas Stuke
Das Grundgesetz gibt die verfassungsmäßige Garantie des Sozialstaats und des Schutzes von Ehe, Familie, aber auch des Vermögens vor. Die Aufgaben des Sozialstaats sind sodann in verschiedensten Gesetzeswerken formuliert. Besonderen Schutz und besondere Unterstützung benötigen und erhalten natürlich Eltern, deren Kinder mit einer Behinderung geboren wurden oder bei denen im Laufe Ihres Lebens eine Behinderung eingetreten ist.

Eltern solcher Kinder tragen eine besondere Verantwortung und häufig auch Belastung, die sich sowohl in besonderer Fürsorge als auch in zusätzlichem Betreuungsaufwand und finanzieller Belastung ausdrückt. Aus dem Sozialstaatsprinzip heraus besteht in dieser Lage ein Anspruch auf staatliche Unterstützung. Dazu gehört insbesondere die Eingliederungshilfe nach dem XII. Buch des Sozialgesetzbuches (früher nach dem Bundessozialhilfegesetz) als Sozialhilfeleistung. Dabei ist zu beachten, dass Sozialhilfe vom Grundsatz her immer nur nachrangig ist, so formuliert es auch das Gesetz: Wer eigenes Einkommen und Vermögen hat, bedarf keine finanzielle Unterstützung und muss sich selbst unterhalten.
Selbstverständlich erwirtschaften behinderte Mitmenschen in der Regel nicht ein ihre Bedürfnisse deckendes Einkommen oder Vermögen. Es kann aber sein, dass dem behinderten Mitbürger zusätzliches, zumutbar verwertbares Vermögen zufließt. Der wichtigste Fall ist dabei der Erbfall der Eltern des Behinderten. Sofern ein behinderter Mitbürger zunächst einen oder später beide Elternteile beerbt, tritt er deren Vermögensnachfolge an. Erhält davon der Sozialhilfeträger Kenntnis, wird er - zu Gunsten der öffentlichen Kassen - immer prüfen, ob er noch die bisher erbrachten Leistungen weiter gewähren muss oder ob er Anspruch auf Ersatz für die bisher erbrachten Leistungen hat. Bei den heutigen Kosten für die zusätzlichen Bedürfnisse wäre dann das jeweilige elterliche Erbteil in kürzester Zeit aufgebraucht beziehungsweise würde sofort, gegebenenfalls vollständig, vom Sozialhilfeträger vereinnahmt. Es ist aber nur natürlich, dass Eltern das Bestreben haben, ihren behinderten Nachkommen das Erbe zu erhalten und zusätzlich nicht durch den Erbfall den Anspruch auf die zustehenden Sonderleistungen zu verbauen. Hier gibt es aber Gestaltungsmöglichkeiten.
Die Rechtssprechung hat die Errichtung eines so genannten »Behindertentestaments« ausdrücklich als wirksam anerkannt. Dabei ist der Name etwas irreführend: nicht der Behinderte testiert, sondern eben dessen Eltern. Bei der Testamentsgestaltung zugunsten von Behinderten erfüllt sich der Wunsch vieler Eltern, dass das hinterlassene Vermögen ihrem behinderten, auf Sozialhilfe angewiesenen Kind persönlich zugute kommt und weder zu dessen Lebzeiten noch nach dessen Tode im Sinne einer Entlastung des Sozialhilfeträgers wirkt.
Zusätzliche, über den Sozialhilfestandard hinausgehende Leistungen sorgen weiter für eine bessere Lebensqualität des Behinderten; ferner wird bewirkt, dass das Vermögen nach dessen Ableben ungeschmälert an die Familie zurückfällt. Um es aber schon vorweg zu sagen: die Gestaltung eines Behindertentestamentes gehört zu den schwierigeren und komplexeren Gestaltungen der juristischen Erbrechtsberatung. Dem Laien sind dabei die verschiedenen Gestaltungsregelungen oft nur schwer verständlich. Darüber hinaus bedarf es immer einer individuell angepassten Regelung, ein »Standard-Behinderten-Testament« gibt es nicht. Die Bedürfnisse, Situationen und Wünsche der Beteiligten sind in jedem Fall einzeln zu berücksichtigen und einer angemessenen Lösung zuzuführen. Dies setzt umfangreiche Kenntnisse des Erb-, Familien-, Sozialhilfe- und auch des Steuerrechts voraus.
Es gibt als Grundgerüst einige Elemente, die jedem Behindertentestament zu Grunde liegen: Der Kernpunkt ist die Vermeidung, dass der jeweilige Erbteil als »verwertbares Vermögen« im Sinne des Gesetzes anzusehen ist. Die eigene Verwertungsmöglichkeit des Erben muss also eingeschränkt werden, gleichzeitig aber die Zuteilungsmöglichkeit aus dem Erbe erhalten bleiben. Dann kann der Sozialhilfeträger weder die Verwertung verlangen noch die Gewährung von Leistungen verweigern oder erbrechtliche Ansprüche auf sich überleiten.
Die »Unverwertbarkeit« erreicht man dabei (1.) eben nicht durch eine Enterbung und ein Setzten auf den Pflichtteil (der wäre nämlich frei verwertbar), sondern durch Einbindung in eine Erbengemeinschaft, die der Sozialhilfeträger nicht auflösen kann, (2.) durch Anordnung der beschränkten Vorerbschaft des Behinderten, so dass das elterliche Erbe für einen Nacherben erhalten bleiben muss und (3.) durch Anordnung der Verwaltung des elterlichen Erbteils durch einen Testamentsvolltrecker, dem die Verwaltung des Erbteils zusteht und der die Zuteilung daraus an den Behinderten vornimmt. Die Wirksamkeit dieser Beschränkungen wird aufrecht erhalten, indem der dem Behinderten zukommende (Vorerbschafts-)Teil immer etwas höher angesetzt wird, als der Pflichtteil betragen würde.
Da Ehegatten in jedem Fall ein gemeinschaftliches Testament machen können, sollte auch ein solches abgefasst werden. Hier sollten sich die Ehegatten zum Großteil gegenseitig als Erben einsetzen, das behinderte Kind als beschränkten Vorerben und Miterben zu der vom Fachmann zu errechnenden (Mindest-)Quote. Der länger lebende Elternteil wird in dieser Regelung sowohl der Nacherbe des behinderten Kindes als auch dessen Testamentsvollstrecker. Er behält so volle Verfügungsgewalt.
Für den Fall des Nachversterbens auch des zweiten Elternteils muss man schauen: Sind Geschwister da, die sich um den Erbteil des behinderten Familienmitgliedes kümmern? Müssen andere Personen aus oder außerhalb der Familie bedacht werden? Es muss auch hier zunächst ein »Haupterbe« gesucht werden. Die dann weitere Gestaltung ist auch hier die gleiche: die Pflichtteilsquote ist zu errechnen (anhand der Anzahl der gesetzlichen Miterben) und zu beachten, die Erbeinsetzung erfolgt wieder als beschränkte Vorerbschaft auf einen Teil etwas höher als dieses Pflichtteils, es wird erneut Testamentsvollstreckung angeordnet. »Haupterbe«, Testamentsvollstrecker und Nacherbe können zusammenfallen, müssen es aber nicht. Die Einbindung eines (gerichtlich bereits bestellten) Betreuers ist auch möglich, aber nicht erforderlich.
Fakt ist aber für beide Erbfälle, dass der behinderte Erbe vom Testamentsvollstrecker dann aus dem Erbe regelmäßig Zusatz- und Sonderleistungen erhalten kann, die ihm jenseits der vom Sozialhilfeträger zu erbringenden Grundversorgung zukommt. Damit »hat er etwas von seinem Erbe« und bekommt es nicht angerechnet oder entzogen. Naturgemäß waren die Sozialhilfeträger noch nie - nicht nur in heutigen Zeiten leerer Kassen - davon begeistert, dass man solche Testamente gestaltet. Sie haben unter dem Einwand der Sittenwidrigkeit dagegen geklagt und den Erbteil zur Verwertung oder für sich gefordert. Dem ist aber der Bundesgerichtshof mit zwei richtungsweisenden Urteilen bereits aus den Jahren 1990 und 1993 entgegen getreten und hat festgestellt, dass diese Art der Gestaltung ausschließlich mit den Mitteln des Bürgerlichen Gesetzbuches ausgeführt wird und sich streng im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten bewegt. Darin sei nichts als sittenwidrig anzusehen. Das Urteil aus dem Jahre 1993 bestätigt dabei sogar, dass die Art der Gestaltung auch bei größeren Vermögen erlaubt ist. Diese Rechtssprechung stellt sich also schützend und erhaltend vor das Familienvermögen.
Es ist daher den Eltern behinderter Kinder nur anzuraten, sich bezüglich der Gestaltung eines Behindertentestaments beraten zu lassen. Grundsätzlich ist ein von einem der Eltern eigenhändig geschriebenes und dann von beiden mit Datum versehenes und eigenhändig unterschriebenes Ehegattentestament uneingeschränkt formwirksam. Es ist aber dringend von der reinen Selbstgestaltung abzuraten, da zum Beispiel die Falschberechnung des Pflichtteils schon zur Unwirksamkeit der ganzen Regelungen führen kann. Die Mindestforderung ist, dass vor einer Selbsterrichtung Rechtsrat eingeholt wird.
Besser ist es aber, wenn das Testament von einem Notar abgefasst und beurkundet wird. Für jedwede Form ist hernach die Hinterlegung bei unserem Amtsgericht ratsam. Danach hat man einen wichtigen Beitrag zur Absicherung und Verbesserung der Situation seines behinderten Kindes geleistet.

Artikel vom 12.11.2005