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Der »Fluch des Gewinnens«

Professor Ockenfels: Bei Auktionen wird Wert einer Sache überschätzt

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Blauäugige Schnäppchenjäger fallen bei ebay auf die Nase. Im Irak-Krieg spielten die amerikanischen Soldaten mit Karten, auf denen der Kopf von Saddam Hussein abgebildet war. Als sich das herumgesprochen hatte, wurde das Kartenspiel im Internet-Auktionshaus ebay zum heiß begehrten und unnötig teuren Objekt.
Studentin Katja Seidel aus Stendal versteigert einen Kaktus und eine Matrjoschka-Puppe. So manches Mal zahlen die Bieter im Internet-Auktionshaus ebay am Ende einen zu hohen Preis. Foto: dpa

»Obwohl der Hersteller das Produkt für nur 5,95 Dollar anbot, zahlten die Käufer bei ebay pro Spiel im Schnitt 8 Dollar zu viel«, berichtete Axel Ockenfels in Bielefeld. Der Wirtschaftswissenschaftler der Universität Köln schilderte, wie sich die Spieltheorie in der täglichen Praxis anwenden lässt. Die 1928 von John von Neumann formulierte Spieltheorie geht davon aus, dass Menschen nicht nur rational handeln und dass die Wirtschaft oder Koalitionsverhandlungen in der Politik dem Schach ähneln.
Gerade erst erkannte die schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm den Wirtschafts-Nobelpreis dem US-Amerikaner Thomas C. Schelling und dem Amerikaner israelischer Herkunft Robert J. Aumann für ihre Beiträge zu »Konflikt und Kooperation in der Spieltheorie« zu.
Ockenfels wiederum, Professor für Experimentelle Wirtschaftsforschung und Träger des Leibniz-Preises, hat sich darauf spezialisiert, die Annahmen der Spieltheorie bei Versteigerungen und öffentlichen Ausschreibungen zu überprüfen. »Bei ebay gewinnt oft der die Versteigerung, der den Wert einer Sache am meisten überschätzt und am schlechtesten informiert ist«, sagte der 36-Jährige. Deshalb könnten sich diejenigen, die im Internet-Auktionshaus zum Zuge kommen, sicher sein, »dass 100 Millionen andere glauben, dass die Gewinner zuviel bezahlt haben«.
Um den »Fluch des Gewinnens« deutlich zu machen, lässt Ockenfels seine Studenten schätzen, wie viel Euro sich in einem Einmachglas befinden. Wer das höchste Angebot macht, bekommt das Glas. Ockenfels: »Die meisten bieten nicht zu viel, schließlich wollen sie etwas gewinnen. Deshalb bekommt am Ende derjenige das Glas, der den Wert der Münzen darin am meisten überschätzt.« Obwohl nur drei Euro drin sind, habe ein Student zum Beispiel 11 Euro geboten.«
Was im Hörsaal glimpflich endet, kann im rauen Wirtschaftsalltag katastrophale Folgen haben. Als die Firma Mobilcom die UMTS-Lizenz für 8,5 Milliarden Euro erwarb, hatte es die Kosten für Aufbau und Pflege des Datennetzes derart überschätzt, dass es die Lizenz zurückgeben musste. Ausschreibungen für den Bau von Straßen oder Brücken seien nichts anderes als Versteigerungen, betonte Ockenfels: Um zu verhindern, dass Projekte brach liegen, weil Firmen ihre finanziellen Möglichkeiten überschätzen und Konkurs machen, bekomme in Ländern wie Italien, Spanien oder Taiwan nicht das beste, sondern das zweitbeste oder mittlere Gebot den Zuschlag. Egal ob Straßen, Ölfelder oder Manuskripte: ihr Wert werde oft überbewertet.
Übrigens gibt es Auktionen schon lange: 1797 versteigerte Goethe sein Manuskript zu »Hermann und Dorothea« an seinen Verleger. Er wollte wissen, wieviel ihm Literatur wert war.

Artikel vom 10.11.2005