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Weihnachten im Dichterwort

Innig besungen, sozialkritisch ironisiert, entzaubert


Weihnachten ist »Krippe, Stern, Heilandkind, Anbetung der Hirten und Könige und Weise aus dem Morgenland! Und andrerseits ist Weihnachten ein Inbegriff, ein Giftmagazin aller bürgerlichen Sentimentalität und Verlogenheit, Anlass wilder Orgien für Industrie und Handel, großer Glanz der Warenhäuser ... « 78 Jahre alt ist dieser Text, geschrieben vom Literaturnobelpreisträger Hermann Hesse (1877-1962).
Er ist unter den Texten von mehr als einem Dutzend Dichtern, die der Tübinger Professor für Theologie der Kultur, Karl-Josef Kuschel, in seinem Buch »Das Weihnachten der Dichter« zitiert. Es zeigt, wie das für die meisten Deutschen wichtigste Fest des Jahres von Schriftstellern verschiedener Zeiten erlebt und innig besungen, aber auch kultur- und sozialkritisch ironisiert und entzaubert worden ist.
»Die Liebe will immer Weihnachten feiern, will anzünden und angezündet werden, beschenken und behangen werden mit bunterlei Sternen«, schrieb Else Lasker-Schüler (1869-1945). »Störe die Weihnacht nicht - über sie leuchtet der Engel der Liebe.«
Bertolt Brecht (1898-1956) entmystifiziert das Fest. Weihnachten 1922 schrieb er ein Gedicht, in dem in knapper, dichterischer Sprache die Rede ist von einer Frau, die in kalter Nacht unter armseligen Umständen ihr erstes Kind zur Weit bringt - was dann »in späteren Jahren zum Fest« wurde. »Das rohe Geschwätz der Hirten / Verstummte. / Später / Wurden aus ihnen Könige in den Geschichten. / Der Wind, der sehr kalt war / Wurde zum Engelsgesang. /Ja, von dem Loch im Dach, das den Frost einließ, blieb nur / Der Stern, der hindurch sah.. .«
Erich Kästner (1899-1974) überzieht Weihnachten mit bitterem Sarkasmus in seinem 1928 veröffentlichten »Weihnachtslied, chemisch gereinigt (nach der Melodie 'Morgen, Kinder, wird's was geben')«, in dem es heißt: »Morgen, Kinder, wird's nichts geben! Nur wer hat, kriegt noch geschenkt... Morgen kommt der Weihnachtsmann. Allerdings nur nebenan... Stille Nacht und heil'ge Nacht - weint, wenn's geht, nicht! Sondern lacht! Morgen, Kinder, wird's nichts geben! Wer nichts kriegt, der kriegt Geduld! / Morgen, Kinder, lernt fürs Leben! Gott ist nicht allein dran schuld...«
Thomas Mann (1875-1955) feierte auch 1942 in der Emigration in Kalifornien Weihnachten im Stil eines deutschen Großbürgers. Protokollarisch trug er am 24. Dezember in sein Tagebuch ein: »Weihnachtsabend. Regen und Dunkelheit. Frühstück mit Borgeses. Arbeit am Schlusskapitel. Mittags allein gegangen. Spätes Lunch, da K. beim Einkaufen aufgehalten. Nachmittags Brief an Mrs. Meyer. Kiste Champagner von Knopf. Zahlreiche Glückwunschkarten. Vorm Abendessen brennendes Bäumchen und Bescherung. Globus und Nachttischlampe freuen mich. Dinner, Brathuhn und Zabaione, mit Borgeses. Darnach Neumanns. Kaffee und Champagner, Baumkuchen.«

Artikel vom 24.12.2005