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»Sternstunden« sind in
der Oberlausitz alltäglich

Flinke Finger formen Zacken - Sterne als Bausatz

Arbeit unterm Sternenhimmel - wovon romantische Menschen träumen, ist für Ulrike Herrmann und ihre Kolleginnen Alltag. Auch wenn der Sternenhimmel »nur« aus Papier und Plastik ist und ein leichter Leimgeruch in der Luft sowie Berge von Arbeit dafür sorgen, dass in der Schauwerkstatt der Herrnhuter Sterne GmbH kaum Zeit für Romantik bleibt.
Herrnhuter Sterne, der traditionelle Weihnachtsschmuck aus der Oberlausitz, sind weit über Sachsen hinaus bekannt. Die dreidimensionalen Sterne werden aus Papier, neuerdings aber auch aus Plastik hergestellt.
Herrnhuter Sterne, traditioneller Weihnachtsschmuck aus der Oberlausitz, sind weit über Sachsen hinaus bekannt und locken vor allem in der Vorweihnachtszeit Neugierige aus ganz Deutschland in den mittelständischen Betrieb in Herrnhut. Dann brummt dort das Geschäft.
In der Schauwerkstatt können Besucher beobachten, wie aus Papier und Plastik die dreidimensionalen Sterne entstehen. In den Wochen vor Weihnachten sind es manchmal mehrere Reisebusse täglich, die ihre Passagiere auf dem Hof des Unternehmens absetzen - und mit dem einen oder anderen Herrnhuter Stern im Gepäck wieder aufnehmen.
Die Geschichte des Herrnhuter Sterns beginnt Mitte des 19. Jahrhunderts: Ein Erzieher lässt seine Schüler einen Stern aus Papier und Pappe basteln, der später wegen der komplexen geometrischen Gestalt sogar im Geometrie-Unterricht zum Einsatz kommen. Der Stern besteht aus einem Grundkörper, aus dem als Zacken 25 Pyramiden wachsen: 17 vierseitige und acht dreiseitige. Das ist noch heute die Gestalt des Herrnhuter Sterns. 1968 kam die Produktion der Sterne zur Herrnhuter Brüdergemeine, einer evangelischen Freikirche, die heute etwa 800 000 Mitglieder weltweit zählt.
Die Herrnhuter Sterne GmbH ist einer von einem halben Dutzend Wirtschaftsbetrieben der Herrnhuter Brüdergemeinde. Im Schnitt etwa 180 000 Sterne verlassen den Betrieb Jahr für Jahr, die Hälfte davon aus Papier, die andere Hälfte aus robusterem Plastik. 85 bis 90 Prozent der Sterne finden in Deutschland ihre Abnehmer, schwerpunktmäßig in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Vertreten ist das Unternehmen auch auf den Weihnachtsmärkten in Dresden, Chemnitz und Leipzig.
Die meisten Herrnhuter Sterne werden als Fertigbausatz geliefert. Wer den Stern zu Hause auspackt, darf dann basteln. Die Meinungen darüber, wie lange es braucht, aus 25 Zacken einen Stern zu fertigen, gehen auseinander. Mindestens zwanzig Minuten schätzt Oskar Scholz, Geschäftsführer der Herrnhuter Sterne GmbH, optimistisch. Zwanzig Minuten bis eine halbe Stunde, meinen die »Sterneproduzentin« Ulrike Herrmann und ihre Kolleginnen. Der Praxistest zeigt: Auch wenn man erst nach 75 Bastelminuten einen fertigen Stern hat, bleibt keineswegs das Gefühl zurück, Zeit verplempert oder sich allzu dumm angestellt zu haben.
Sooo schnell soll es ja auch gar nicht gehen, den Stern zu montieren. In seiner Idealvorstellung sieht Scholz den Stern als Mittel, das die Menschen zusammenbringt. Er soll die Mitglieder einer Familie im wahrsten Sinne des Wortes zum Basteln an einen Tisch bringen. So war es zumindest früher, und Scholz wünscht sich das auch für die Gegenwart und Zukunft. »Die Menschen sollen zusammensitzen, sich Geschichten erzählen und dabei Sterne bauen.«
Geschichten erzählen sich auch die Mitarbeiter der Schauwerkstatt, um die manchmal doch etwas eintönige Arbeit spannender zu machen. Neben Ulrike Herrmann sitzt Rita Deutscher. Auf dem Tisch vor der 50- Jährigen wächst Zacken um Zacken ein kleiner gelber Wald von Papierpyramiden. Sie fertigt sehr kleine Sterne mit einem Durchmesser von 13 Zentimetern, die in dem Unternehmen gleich komplett gebaut werden. Mit einer Pinzette fügt sie die einzelnen Teile zusammen. Eine Arbeit, die eine ruhige Hand und Fingerspitzengefühl erfordert.
Hahn im Korb und jüngster Mitarbeiter in der Schauwerkstatt ist Sebastian Faber. Der 21-Jährige baut kleine Plastiksterne. 100 bis 120 schafft er pro Tag: Sternstunden der besonderen Art.

Artikel vom 24.12.2005