10.11.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Virtuosität und Artistik

Kammerkonzert mit der russischen Pianistin Anna Vinnitskaya

Von Wolfgang Günther
Paderborn (WV). Im Rahmen der Veranstaltungsreihe »Blickpunkt Russland« stand auch das Zweite städtische Kammerkonzert mit der russischen Pianistin Anna Vinnitskaya in der Paderhalle.

In der Erwartungshaltung des klavierbegeisterten Hörers bedeutet ein russischer Klavierabend sicher etwas Besonderes. Es ist die einmalige, hochberühmte Pianistenschule des schon fast legendären Heinrich G. Neuhaus und die russische Musik - wobei uns feinere Unterscheidungen nicht recht gelingen - mit ihrer Ursprünglichkeit, die uns durch ihre eigenartige Mischung von Traurigkeit und dann wieder durch eine fast ausgelassene Fröhlichkeit, die sich durch mitreißende tänzerische Rhythmen äußern kann, innerlich ergreift und in einen fremdartigen Zauber versetzt.
Anna Vinnitskaya spielte allerdings erst im zweiten Teil ihres Klavierabends Werke russischer Komponisten; mit der »Dumka« von Tschaikowsky und der orientalischen Fantasie »Islamey« von Balakirew wurde der Nationalstil erlebbar. Den Beginn des Abends machte die Pianistin mit einem wahrhaft pianistischen »Brocken« - mit der Chaconne nach der Partita für Violine solo in d-Moll von Bach, bearbeitet für Klavier von Busoni. Kraftvoll, in mächtiger Tongebung ging sie dieses Werk an, wobei sie ziemlich steil dynamische Höhepunkte erreichte, die dann allerdings dynamische Abstufungen manchmal geringfügig verwischen ließen. Höchst beeindruckend war die absolute technische Perfektion, die es ihr ermöglichte, schwierigste Passagen sicher und in klarer Tongebung realisieren zu können.
Die Variationen über ein Thema von Paganini nannte Brahms »Studien für das Pianoforte«, deshalb sind sie auch keine eigentliche Virtuosenmusik. Nun kann eine Pianistin mit solch einer immensen technischen Versiertheit nicht im Genre von Studien bleiben, die sie uns vorspielen will, sie greift natürlich die virtuosen Elemente heraus, die in dieser Komposition reichlich vorhanden sind. Anna Vinnitskaya nutzte hier mehr Anschlagsmodifikationen, und die Fortestellen - leider manchmal leicht überzogen - waren tiefgründiger und runder angelegt. Bemerkenswert waren die feinen agogischen Ansätze und auch in einzelnen Variationen die einfühlsam gestaltete gesangliche Linienführung.
Für die Auswahl eines Konzertprogramms bieten die wenigen Klavierstücke Tschaikowskys leider nur recht wenige Möglichkeiten. Das passende Stück für einen virtuosen Klavierabend fand die Pianistin in der »Dumka« c-Moll op. 59, die im Mittelteil recht wirkungsvolle virtuose Passagen aufweist.
In ihrer Ciacona verzichtet Sofia Gubajdulina auf irgendwelche melodischen Vorlagen, die in allen anderen Werken dieses Klavierabends das Sujet bildeten. Nur die Form war übernommen, die von der Komponistin mit einer Fülle von pianistischen Spezialitäten randvoll gefüllt war. Fast an die Grenzen der Spielbarkeit gehend - wie etwa die überaus schnellen Oktavgänge in der linken Hand -, erklangen auch durch eine geschickte Pedalisierung Obertöne in der Verschmelzung mit den Grundtönen.
Höchst pianistische Ansprüche macht die Interpretation der orientalischen Fantasie »Islamey« von Balakirew erforderlich. Hier werden die Grenzen zwischen Virtuosität und Artistik fließend. Mit ihrem kraftvollen und höchst virtuosen Klavierspiel steht Anna Vinnitskaya in der Tradition der bedeutenden russischen Pianistenschule. Für den begeisterten Beifall bedankte sich Anna Vinnitskaya mit zwei Zugaben - u.a. mit einer Sonate von Scarlatti.

Artikel vom 10.11.2005