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Ein Hausbesuch für nur 1,20 Euro

Verler Ärzte kämpfen um Existenz - Patienten zeigen für Streik Verständnis

Von Manfred Köhler
und Elke Hänel
Verl (WB). Etwas mehr als sonst war am Streiktag der Ärzte schon los, aber der große Ansturm auf die Praxis von Dr. Klaus Wiethoff an der Kolpingstraße blieb dann doch aus. Der Allgemeinmediziner hatte gestern für 13 Kollegen den Notdienst übernommen.

»Es war eher ruhig«, stellte er fest, »die meisten Leute hatten schon aus der Presse erfahren, dass heute die meisten Praxen geschlossen sind, und sind gar nicht erst gekommen.« Vor allem kleinere Notfälle, wie etwa Harnwegsinfekte, Kopfschmerzen, Erkältungen, Grippe und Verletzungen mussten Dr. Wiethoff und sein Team, die Arzthelferinnen Barbara Dorenkamp und Maria Ottemeier, versorgen und bei Bedarf eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellen. Dr. Wiethoff hielt am Streiktag nicht alleine die Stellung in Verl: Außerdem hatten noch eine Kinderärztin, ein Gynäkologe, ein Augen- und ein Hals-Nasen-Ohrenarzt Notdienst.
»Die spinnen wohl! Ich habe Schmerzen«, meinte ein junger Mann, der verdutzt vor der geschlossenen Praxistür von Dres. Dietmar und Silke Schlewing stand. Er hatte von dem Streiktag zuvor nichts gehört. Die meisten Patienten aber reagierten gelassen auf die geschlossenen Praxen und zeigten Verständnis für die Sorgen und Nöte der Mediziner. Wie etwa Helga Gronebaum, die mit Bedauern meinte: »Die ganze Gesundheitsreform ist eine Katastrophe. Es gehen immer weniger Leute zum Arzt und man hat das Gefühl, man erlebt einen Rückschritt. Die Ärzte werden mit ihren Sorgen allein gelassen und müssen Tag und Nacht bereit stehen.«
Das kann Dr. Klaus Wiethoff für sich und seine Kollegen nur unterstreichen. »Es brennt!« Mit diesen Worten brachte der Allgemeinmediziner die Situation der Ärzteschaft auf den Punkt und meinte: »Ich will es einmal vorsichtig ausdrücken: In einigen Praxen sieht es nicht rosig aus.« Er kenne Kollegen im Kreis Gütersloh, die am Wochenende nach England fliegen, um dort zusätzlich zu arbeiten. Dr. Wiethoff: »Sonst kämen sie finanziell einfach nicht über die Runden.« Seit einigen Monaten habe sich die Lage noch verschärft. »Die Erfahrungen mit der neuen Gebührenordnung sind deprimierend«, sagte er, »wir haben erhebliche Umsatzverluste hinnehmen müssen, teilweise bis zu 20 Prozent«. Grund sei vor allem die Abrechnung der Leistung nach einem Punktesystem, bei dem aber nicht bezahlt werde, was versprochen worden sei. Außerdem gebe es einen festen Finanztopf, aus dem die Ärzte bezahlt würden. »Wenn der leer ist, gibt's nichts mehr. So war das Budget Mitte Juni ausgeschöpft und ich konnte den Rest des Quartals für 0,1 Cent pro Punkt arbeiten«, sagte er und fügte ernst hinzu: »Ich habe Hausbesuche für 1,20 Euro gemacht. Mich ärgert, dass Leistung nicht bezahlt wird und von uns erwartet wird, als Samariter weiter zu machen.« Die Liste der Probleme, mit denen die Ärzte zu kämpfen hätten, ließe sich beliebig verlängern. Für junge Mediziner, die ihre Karriere noch vor sich hätten, sei es ganz schwer.
Die Beteiligung der Verler Ärzte an dem Streik war eine schnell beschlossene Sache. Dr. Wiethoff: »Wir haben unser Stammtischtreffen spontan vorverlegt und dort die Aktion einstimmig beschlossen.« Auf die unbefriedigende Lage und ihre Forderungen wiesen die Mediziner auch mit Plakaten und Zeitungsberichten hin, die an den Praxistüren klebten. »Wenn wir jetzt nicht handeln, kann die ärztliche Versorgung in Verl für Kassenpatienten bereits in wenigen Jahren auf Dauer so aussehen wie am 9. November 2005«, hieß es auf einem klipp und klar.
Ein Versorgungsengpass durch den Streik entstand übrigens auch im St.-Anna-Haus nicht. »Die Ärzte kommen in regelmäßigen Abständen zu Hausbesuchen, aber mittwochs ist das ohnehin nicht der Fall. Und bei Notfällen hätten wir uns eben an Dr. Wiethoff gewandt oder bei ernsteren Fällen den Rettungswagen gerufen«, erläuterte Heimleiterin Hannelore Gellner auf Anfrage.

Artikel vom 10.11.2005