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Trauer auf zweierlei Art

Schüler gestalten Sonntag neu - Schützen halten an Tradition fest

Von Thomas Hochstätter
(Text und Foto)
Bad Oeynhausen (WB). Mit einer gemeinsamen Veranstaltung zum Volkstrauertag wird es in diesem Jahr nichts mehr. Stadt, Kirchengemeinden und Schulen auf der einen Seite sowie Schützen und Feuerwehr auf der anderen Seite gehen getrennte Wege (WB vom 9. November). In Zukunft müsse aber wieder ein Konsens gefunden werden, fordert Hans-Peter Schulten, Ehrenvorsitzender der Altstädter Bürgerschützen.
Hier am Roland hinter der Auferstehungskirche legen die Schützen traditionell ihren Kranz zum Volkstrauertag nieder. Das Ehrenmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs aus dem Jahr 1929 geht auf einen Entwurf des Architekten Ernst Spilker zurück. Kirche, Stadt und Schulen bevorzugen aber das wenige Meter entfernte Mahnmal für die Toten des Zweiten Weltkriegs. Das Werk des Bildhauers Theodor Henke von 1966 thematisiert den Kriegstod im Lager, auf der Flucht und im Kampf.

»Wir haben doch nichts gegen die Kirche«, sagt Schulten, dessen Tochter Mitglied im Presbyterium der Altstadtgemeinde ist. Es habe sich aber bereits bei den beiden Vorbereitungstreffen im Rathaus im Frühjahr und im Sommer abgezeichnet, dass sich kein Kompromiss finden lasse. Bereits im August habe er, Schulten, deshalb für die Schützen erklärt, dass man bei der neuen Form des Gedenkens nicht mitmachen werde.
Einstimmig hätten sowohl sein eigener Verein, als auch die Neustädter Schützen und die Altstädter Feuerwehr diese Entscheidung bestätigt. Ihnen allen sei die Tradition wichtig - einschließlich umstrittener Elemente wie der Kranzniederlegung am Kriegerdenkmal und dem Lied vom guten Kameraden.
Dieses Stück Musik ist es offenbar, das die ganze Auseinandersetzung ausgelöst hat. Denn Mitglieder des Posaunenchors der Gemeinde hatten sich vor einigen Jahren geweigert, das Lied zu spielen. Gedichtet 1809 von Ludwig Uhland, komponiert 1825 von Friedrich Silcher, enthält die nationale Trauerhymne »Der gute Kamerad« eine viel diskutierte Strophe: »Eine Kugel kam geflogen / Gilt's mir oder gilt es dir? / Ihn hat es weggerissen / Er liegt mir vor den Füßen / Als wär's ein Stück von mir / Will mir die Hand noch reichen / Derweil ich eben lad.«
Schulten sagt: »Das Lied stammt doch nicht aus der Nazizeit. Und überhaupt, wir spielen nur die Melodie.« Doch Kritiker aus der Kirchengemeinde halten es eher mit Soziologen, die in dem Lied den Widerhall kollektiver Todesphantasien wähnen. Ihnen ist die Anmutung der althergebrachten Gedenkveranstaltung mit ihren Kommandos zu militaristisch. Das bringt Schulten auf die Palme: »Wir tun doch niemandem etwas!« Er hätte sich gewünscht, sagt er, dass sich beide Wünsche vereinen ließen: das Verlangen nach Erneuerung und der Wunsch nach Tradition. »Warum nicht erst Gedenken am Brunnen und dann mit uns am Ehrenmal?«
Das fragt sich auch Hans-Werner Büscher. Er ist Schulpfarrer am Kant-Gymnasium und hat zusammen mit den Schülern der Klasse 10 f einen Teil der städtischen Gedenkfeier vorbereitet, die am Sonntag um 15 Uhr in der Kirche beginnt. Dabei werden - betreut von Lehrerin Sabine Köhler - zuerst Zwölft- und Dreizehntklässler aus der Gesamtschule Steine mit den Namen von Konzentrations- und Vernichtungslagern am Gedenkbrunnen für die jüdischen Opfer niederlegen. Dann sind Büschers Schützlinge an der Reihe. Sie legen Steine mit den Namen von deutschen und ausländischen Städten, die im Zweiten Weltkrieg bombardiert wurden, am Mahnmal nieder. Insgesamt sind etwa 40 Jugendliche beteiligt.
»Es ist eine freiwillige Aktion, die ich im Religionsunterricht vorbereitet habe«, erzählt Hans-Werner Büscher. Die Jugendlichen hätten diese Idee sehr positiv aufgenommen, sagt auch Sabine Köhler. Die Anregung dazu sei von der Stadt gekommen. Dort sieht man die Gegenveranstaltung von Schützen und Feuerwehr ab 10.45 Uhr zwischen Rathaus und Kriegerdenkmal zwar ungern, will aber nichts dagegen unternehmen.
Bei allem Streit um die richtige Musik wird am Sonntag ein Lied erklingen, auf das sich wohl alle einigen können. Programmpunkt 21 der städtischen Gedenkveranstaltung ist die Nationalhymne.

Artikel vom 10.11.2005