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Das Vermächtnis des »roten Mohn«

Die Bertelsmann-Pensionskasse ist 50 Jahre alt - Firmenrente ohne Beitrag

Von Stephan Rechlin
Gütersloh (WB). Die zufriedenen Gesichter bei der Pensionärsfeier der Firma Bertelsmann lagen gestern nicht nur an den netten Worten des Vorstandsvorsitzenden Dr. Gunter Thielen. An der Ansprache von Liz Mohn oder dem Auftritt von Andrea Jürgens. Jeder Pensionär in der Stadthalle Gütersloh bezieht derzeit durchschnittlich 523 Euro Betriebsrente. Diese Rente wird seit 1977 jährlich erhöht - mindestens um die Höhe der Inflation.

Der Pensionsvertrag, auf dessen Grundlage gestern gefeiert wurde, ist inzwischen 50 Jahre alt. Eine Betriebsvereinbarung vom 1. November 1955 gestand den Mitarbeitern erstmals eine Firmenrente ohne finanziellen Eigenbeitrag zu. Gemeinsam mit den damals ausgegebenen Anteilsscheinen begründete der Pensionsvertrag das Image vom »roten Mohn« unter den deutschen Arbeitgebern. Auf den ersten Blick hatten sie damit nicht einmal Unrecht. »Ein Betrieb, der sich auf dem Markt behaupten will, stellt eine Gemeinschaftsaufgabe dar, die nur durch die Zusammenarbeit aller Mitarbeiter erfüllt werden kann. Das Wohl des Betriebs und der Belegschaft kann nur auf der gemeinsam bejahten Arbeit aufbauen«, leitete Reinhard Mohn damals in drei Betriebsversammlungen seine Begründung ein, warum das Unternehmen einen Pensionsvertrag einführte. »Unser Pensionsvertrag zieht die Konsequenz: Ein Betrieb kann keine Pensionen verschenken, wir können sie nur gemeinsam erarbeiten.«
Das klang partnerschaftlich, hatte aber auch einen handfesten Vorteil. Die für die Pension nötigen Rückstellungen halfen gleichzeitig bei der Finanzierung des jungen Unternehmens. Und damit war Bertelsmann vielen anderen Unternehmen in Deutschland einen guten Schritt voraus.
Im Laufe der zurückliegenden fünf Jahrzehnte erfuhr der erste Bertelsmann-Pensionsvertrag mehrere Änderungen - meist bevor sie der Gesetzgeber verbindlich vorschrieb. So wurde 1970 eine so genannte Festpensionsregelung eingeführt, die den Mitarbeitern mit der Pensionierung die Hälfte des im Monat vor der Vollendung des 42. Lebensjahres erzielten Bruttogehaltes als Rente garantierte. Es folgte 1971 eine Unverfallbarkeitsregelung, die das Betriebsrentengesetz erst Ende 1974 vorsah. Demnach verfielen die nach 15 Jahren erworbenen Betriebsrentenansprüche bei einem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Unternehmen nicht mehr, wenn der Mitarbeiter bei seinem Ausscheiden das 45. Lebensjahr vollendet hatte. Das Jahr 1975 brachte die Mindestpensionsregelung, nach der ein Mitarbeiter, der nach 30-jähriger Dienstzeit im Alter von 65 Jahren in Rente geht, mindestens 20 Prozent seines letzten dienstlichen monatlichen Bruttogehalts als betriebliche Rente bezog.
Am 1. Juli 1986 führte Bertelsmann den Pensionsvertrag II ein. Die Rentenzahlungen basierten nun wieder auf dem letzten Monatsgehalt - pro Dienstjahr ein halbes Prozent -, waren aber auf maximal 17,5 Prozent des letzten Bruttomonatseinkommens beschränkt. Der am 1. Juli 1999 in Kraft getretene und noch immer gültige Pensionsvertrag III setzt hingegen auf »Rentenbausteine«, die in jedem Dienstjahr unter anderem in Abhängigkeit vom jeweiligen Jahreseinkommen erworben werden. Das Unternehmen unterstützt zudem die private Vorsorge: Wer zusätzlich etwa in eine Pensionskasse einzahlt, bekommt vom Unternehmen einen Zuschuss.
Genau 6000 Pensionäre nehmen die Bertelsmann-Betriebsrente gegenwärtig in Anspruch. Darunter ist Egbert Drosten (Mohn Media), der kürzlich geehrte 6000. Firmenrentner. Der älteste noch lebende Bertelsmann-Pensionär ist Oskar Tack aus dem hessischen Allendorf mit 96 Jahren. 103 Jahre alt ist Helene Papke aus Beeskow, Brandenburg, sie bekommt von Bertelsmann eine Witwenrente.
Der Pensionsvertrag von 1955 knüpfte an historische Vorläufer an. 1887 führte Heinrich Bertelsmann eine Unterstützungskasse für alte und kranke Mitarbeiter ein. Nach der Inflation wurde sie 1926 als »Haus-Invaliden-Witwen- und Waisenkasse« neu aufgelegt und bis zur Währungsreform 1948 aufrecht erhalten.

Artikel vom 09.11.2005