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Das andere Licht vom Leben

Ausstellung »welt verlassen« - die letzten Lebensjahre von Frau Graefe

Herford (kop). Die alte Frau auf dem Foto sieht weltverlassen aus. Oder sind es die Bilder, die der Betrachter vom Altwerden im Kopf hat, die sie so aussehen lassen? Es stimmt beides. Altern ist schwer, vor allem in einer Welt, die auf ewige Jugend setzt und von Altersschwemme redet.

Die heute 54-jährige Bielefelder Fotografin Hermine Oberück hat die Detmolderin Frau Graefe (Name geändert) in ihren letzten vier Lebensjahren im Alltag begleitet und fotografiert, bis sie 1994 im Alter von 94 Jahren starb. Vom kommenden Donnerstag, 10. November, an (bis 24. November), sind die Bilder von Hermine Oberück in einer Ausstellung in der Sparkasse Herford, Auf der Freiheit, zu sehen. Anlass für die Fotoausstellung ist das zehnjährige Bestehen der Hospizbewegung Herford. Eröffnet wird sie um 19.30 Uhr im Beisein der Fotografin, die den Besuchern gern als Gesprächspartnerin zur Verfügung stehen wird.
Hermine Oberück kannte Frau Graefes Tochter Gisela und eine Mitbewohnerin der alten Dame, bevor sie zum ersten Mal in das Haus in Detmold kam. »Die beiden haben mich, nachdem ich häufiger in Detmold war, gebeten, einmal den Alltag mit Frau Graefe im Bild festzuhalten. Und ich wollte zeigen, wie es ist, mit einer alten Mutter zusammenzuleben, nachdem man schon das ganze Leben miteinander verbracht hat«, berichtet Hermine Oberück.
Tochter Gisela hat ihr Elternhaus nie verlassen, hat selbst mit ihrer eigenen Familie dort gelebt. In den letzten Lebensjahren hat sie ihre Mutter gepflegt, Unterstützung bekam sie von Mitbewohnerin Brigitte und am Ende auch von Mitarbeiterinnen eines Pflegedienstes. Und selbst Hermine Oberück brachte sich nach einiger Zeit in Pflege und Betreuung der Seniorin mit ein. »Ich habe schließlich viel Zeit in dem Haus verbracht und die Gelegenheit gehabt, eine persönliche Beziehung zu Frau Graefe aufzubauen«, erzählt Hermine Oberück. Sie habe mit Respekt vor der alten Frau den Alltag mitgemacht, sich aber beim Fotografieren stets diskret verhalten.
Die Bilder von Hermine Oberück lassen erahnen, welche widersprüchlichen Empfindungen und Spannungen ausgehalten und durchkämpft werden mussten, als Frau Graefe von ihrer Tochter gepflegt wurde. Eindrucksvoll schildern die Bilder die zunehmende Verwirrtheit und Pflegebedürftigkeit der alten Frau. Eine Welt wird sichtbar, vor der viele Angst haben. »Diejenigen von uns, die mit Frau Graefe in einem Haus zusammen gewohnt haben, spürten im Zusammenleben mit ihr aber auch etwas Unvergängliches, Zukunftsweisendes. Es sind die eigenartige Ruhe, die Würde und Zerbrechlichkeit, die das Leben auf einmal in ein anderes Licht rücken. Die Bilder wollen auch dieses andere Licht einfangen, das Unsichtbare zeigen«, sagt Hermine Oberück.
Einige Jahre nach dem Tod von Frau Graefe entstand ein Buch, das den gleichen Titel wie die Ausstellung trägt: »welt verlassen -ĂŠjunge und alte Frauen im Spannungsfeld von Alter und Tod«. Es zeigt nicht nur die Bilder der Ausstellung, in einigen Passagen erzählen die Mitbewohnerinnen von Frau Graefe auch aus dem Alltag mit der alten Frau. Ergänzt wird das Buch durch biblische Texte zum Thema »Einander festhalten - Biblische Frauengestalten im Spannungsfeld von Alter und Tod«, die Theologin Birgit Fenner erarbeitet hat und die vom Zusammenleben alter und junger Frauen erzählen.
Das Buch wird auch im Rahmen der Ausstellung angeboten.

Artikel vom 09.11.2005