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Gestrandet und verlassen

Lkw und Fahrer aus Mazedonien seit einer Woche bei Thorwesten

Von Monika Schönfeld
(Text und Foto)
Schloß Holte-Stukenbrock (WB). »Ich möchte nicht wissen, was auf deutschen Straßen so fährt.« Ernst-Dieter Thorwesten, Chef des Autohauses Thorwesten, weiß es allerdings. Vier bis fünf Mal im Jahr werden Lastwagen auf den Hof seines Autohauses geschleppt, die Polizei und andere Behörden mit gravierenden technischen Mängeln aus dem Verkehr ziehen. »In dieser Form habe ich das noch nicht erlebt. Es kümmert sich niemand um Fahrer, Lastwagen oder Ladung.«

Das Drama, das vor allem auch ein menschliches ist, begann am vergangenen Montag. Auf der Autobahn 33 in Höhe von Schloß Neuhaus hat Thomas Wulf vom Bundesamt für Güterverkehr mit einem Kollegen beim Mautkontrolldienst festgestellt, dass der Lastwagen keine Einbuchung hatte. »Auf dem nächsten Parkplatz haben wir den Fahrer angehalten und sofort gesehen, dass das Fahrzeug technisch nicht in Ordnung ist«, so Wulf. Das weitere Prozedere gleicht vielen anderen Situationen. Der Lastwagen wurde zur nächsten Werkstatt geschleppt. Dem Autohaus Thorwesten in Stukenbrock. Dort wurde festgestellt, dass der mit 17 Tonnen Kupfer beladene Auflieger völlig defekte Bremsen hat und nur noch von der Zugmaschine gebremst werden konnte. Reifen und Bremsen der Zugmaschine sind allerdings auch marode. Der 50-jährige Fahrer hat vor einer Woche telefonisch Kontakt mit seinem Chef aufgenommen, der ihm versprochen hatte, die Zugmaschine mit einem Tieflader abholen zu lassen.
Seitdem steht die Zugmaschine auf dem Gelände des Autohauses. Der Fahrer, der aus dem mazedonischen Ort Sveti Nikole stammt, ist in Stukenbrock gestrandet. »Er wollte nicht ins Hotel. Ich habe ihn gefragt, ob er genug zu Essen hat. Am Mittwoch hatte er noch zwei grüne, angeschimmelte Kartoffeln«, berichtet ein Thorwesten-Mitarbeiter, der als Dolmetscher fungiert. »Ich dachte erst, es wäre ein Witz.« Seniorchef Heinrich Thorwesten leistete Erste Hilfe. Der Fahrer hat Diabetes und brauchte Medikamente, die ihm Thorwesten aus der Apotheke besorgte. Weitere Hilfe will der Mann allerdings nicht gern annehmen.
»Es ist bitter, mitten in Europa so leben zu müssen«, sagt Ernst-Dieter Thorwesten. Der Fahrer habe für die Tour Österreich-Osnabrück-Griechenland 37 Euro erhalten. Seinen Chef habe er noch nie zu Gesicht bekommen, vor zwei Monaten war er in einer Kneipe in Mazedonien angeheuert worden. Seit einer Woche habe weder der Fahrer noch das Autohaus Thorwesten etwas vom Besitzer des Lastwagens gehört. Eine Telefonnummer in Österreich, unter der sich niemand mehr meldet, ein ominöses Fax, aus dem keiner schlau wird. Der Chef der mazedonischen Firma Coce-Trans sitzt anscheinend in Wien. Das Bundesamt verfolge nun die Spur. Ohne Reparaturauftrag des Spediteurs will Thorwesten allerdings keine Reparatur vornehmen. Er hat die Idee, den Fahrer von einem Kunden mitnehmen zu lassen, der demnächst nach Mazedonien fährt. Allerdings fragt er sich, was mit ihm passiert, wenn er ohne Lastwagen und Ladung nach Hause kommt. Der Fahrer, der kein Wort Deutsch spricht und nicht mehr als eben die 37 Euro bei sich hat, macht deutlich, dass er ohne Lastwagen nicht nach Hause fährt. Seine Familie ist auf seinen Verdienst angewiesen. »Es wird kalt. Er kann hier doch nicht überwintern«, sagt Thorwesten.
Bis gestern, so Thorwesten, habe der Fahrer darauf vertraut, dass er von seinem Chef abgeholt werde. Daran glaube er jetzt aber nicht mehr. »Fakt ist, dass er mit dem Fahrzeug so nicht vom Hof kommt.« Der Auflieger mit der Kupferblechladung bleibe unter Verschluss. Der Fahrer kann die sanitären Anlagen nutzen, schläft in der Zugmaschine. »Er will nichts annehmen. Er schämt sich.«

Artikel vom 08.11.2005