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Zum Dank konnte er den Autopilot einschalten. Ein Lächeln nach rechts, ein Lächeln nach links, ein paar Flüche, um ihnen eine Freude zu machen, und schon wäre es Zeit für den Kaffee. Klasse.

Sie holte Paulette in ihrem Käfig ab, und dann wollten sie sich im Hôtel des Voyageurs treffen, einem kleinen Lokal mit Zierdeckchen und Trockenblumen, in dem er seine Lehre gemacht und anschließend gearbeitet hatte und an das er ein paar schöne Erinnerungen hatte. Das war 1990 gewesen. Das heißt, vor tausend Millionen Lichtjahren.
Was hatte er damals gehabt? Eine Yamaha Fazer?

Er fuhr Zickzack zwischen den weißen Linien und hatte sein Visier geöffnet, um die sengende Sonne zu spüren. Er würde nicht ausziehen. Nicht gleich. Er könnte bleiben, in dieser viel zu großen Wohnung, in die das Leben eines Morgens mit einer Außerirdischen im Nachthemd zurückgekehrt war. Sie sprach nicht viel, und doch, seit sie da war, war wieder Leben in der Bude. Philibert kam endlich wieder aus seinem Zimmer, und sie tranken morgens ihre heiße Schokolade zusammen. Er knallte nicht mehr mit den Türen, um sie nicht zu wecken, und schlief leichter ein, wenn er sie im Zimmer nebenan hörte.

Anfangs konnte er sie nicht ausstehen, aber jetzt lief es gut. Er hatte sie gezähmt.

He? Weißt du, was du da eben gesagt hast?
Was denn?
Komm, mach hier jetzt nicht einen auf Unschuldslamm. Also wirklich, Lestafier, sieh mir in die Augen, meinst du wirklich, du hättest sie gezähmt?
Eh... nee...
Gut so! Schon besser. Ich weiß ja, daß du nicht allzu helle bist, mein Lieber, aber trotzdem... Du hast mir gerade einen Schrecken eingejagt!

He, ist schon gut. Darf man jetzt nicht mal mehr einen Witz machen?

3. Kapitel
Er entzippte sich im Wartehäuschen einer Bushaltestelle und zog den Krawattenknoten zu, als er durch die Tür trat.
Die Chefin breitete die Arme aus:
»He, was sieht er gut aus! Oh! Man merkt doch gleich, daß du dich in Paris einkleidest! René läßt dich grüßen. Er kommt nach dem Essen vorbei.«

Yvonne stand auf, und seine Omi lächelte ihn zärtlich an.
»Na, die Damen? Wir haben den Tag beim Friseur verbracht, wie ich sehe?«
Sie kicherten über ihrem Kir und rückten auseinander, damit er auf die Loire schauen konnte.
Seine Omi hatte ihr gutes Kostüm herausgeholt, das mit der billigen Brosche und dem Pelzkragen. Der Friseur des Altenheims hatte sich nicht zurückgehalten, sie war genauso lachsfarben wie die Tischdecke.
»Meine Güte, der Friseur hat dich nicht schlecht eingefärbt.«
»Genau das habe ich auch gesagt«, fiel ihm Yvonne ins Wort, »diese Farbe ist wirklich schön, nicht wahr, Paulette?«
Paulette nickte, es ging ihr runter wie Öl, und sie betupfte sich mit der Damastserviette vorsichtig die Mundwinkel, verschlang ihren großen Jungen mit den Augen und errötete hinter der Speisekarte.

Alles verlief genauso, wie er es vorhergesehen hatte: »ja«, »nein«, »tatsächlich?«, »ist nicht wahr«, »Scheiße, Mann«, »Pardon«, »verflucht«, »hoppla« und »Donnerwetter« waren die einzigen Worte, die er von sich gab, Yvonne füllte perfekt die Intervalle.
Paulette sagte nicht viel.
Sie betrachtete den Fluß.
Der Chef hielt noch einen Schwatz mit ihnen und schenkte einen alten Armagnac aus, den die Damen zunächst von sich wiesen, bevor sie ihn wie Meßwein hinunterkippten. Er erzählte Franck ein paar Anekdoten von Koch zu Koch und fragte ihn, wann er hier wieder anfangen würde.
»Die Pariser, die verstehen doch nichts vom Essen. Die Frauen machen Diät, und die Männer denken nur an die Rechnung. Ich bin mir sicher, du hast nie ein Liebespaar zu Gast. Mittags nur Geschäftsleute, denen es ganz egal ist, was sie essen, und abends Eheleute, die ihren zwanzigsten Hochzeitstag feiern und ein Gesicht ziehen, weil der Wagen nicht korrekt geparkt ist und sie Angst haben, daß er abgeschleppt wird. Hab ich recht?«
»Ach, wissen Sie, mir ist das egal. Ich mach meine Arbeit.«
»Sag ich doch! Da oben kochst du für den Gehaltszettel. Komm wieder zu uns, dann gehen wir mit Freunden angeln.«
»Wollen Sie verkaufen, René?«
»Pff... An wen?«

Während Yvonne das Auto holte, half Franck seiner Großmutter in den Ärmel ihres Regenmantels:
»Hier, das hat sie mir für dich mitgegeben...«
Stille.
»Was ist, gefälltÕs dir nicht?«
»Doch... doch...«
Sie fing wieder an zu weinen:
»Was siehst du gut darauf aus.«
Sie zeigte auf das Bild, das er nicht mochte.
»Weißt du was, deinen Schal trägt sie jeden Tag.«
»Lügner.«
»Ich schwörÕs!«
»Dann hast du recht. Die Kleine ist nicht normal«, fügte sie hinzu und schneuzte sich lächelnd ins Taschentuch.
»Omi, nicht weinen. Wir schaffen das schon, wir kommen da wieder raus.«
»Ja... Mit den Füßen zuerst.«
»...«
»Weißt du, manchmal denke ich, daß ich bereit bin, und dann wieder, ich... ich...«
»Ach, Omi du...«
Und zum ersten Mal in seinem Leben schloß er sie in die Arme.

Sie verabschiedeten sich auf dem Parkplatz, und er war erleichtert, daß er sie nicht selbst in ihr Loch zurückbringen mußte.
Als er den Ständer hochschob, kam ihm sein Motorrad schwerer vor als sonst.
Er war mit seiner Freundin verabredet, er hatte ein bißchen Kleingeld in der Tasche, ein Dach über dem Kopf, eine Stelle, er hatte sogar seine Gagabine und seinen Filouchard gefunden, und trotzdem verging er vor Einsamkeit.

So ein Mist, brummte er in seinen Helm, so ein Mist. Er wiederholte es nicht noch einmal, weil es nichts brachte, und außerdem beschlug sein Visier.
So ein Mist.

4. Kapitel
Hast du schon wieder deinen Schlüssel vergess...«
Camille sprach den Satz nicht zu Ende, weil sie sich im Adressaten geirrt hatte. Es war nicht Franck, sondern die junge Frau von neulich. Die er an Heiligabend rausgeschmissen hatte, nachdem er sie flachgelegt hatte.
»Ist Franck nicht da?«
»Nein. Er ist zu seiner Großmutter gefahren.«
»Wie spät ist es?«
»Eh... so gegen sieben, glaube ich.«
»Hast du was dagegen, wenn ich hier auf ihn warte?«
»Natürlich nicht. Komm rein.«
»Stör ich?«
»Überhaupt nicht! Ich war grad dabei, vorm Fernseher ins Koma zu fallen.«
»Guckst du denn fern?«
»Na klar, warum nicht?«

»Ich warne dich, ich habe mich für die bescheuertste Sendung entschieden. Nur Weiber, die wie Nutten rumlaufen, und Showmaster im taillierten Anzug, die Zettel vorlesen und dabei ganz maskulin die Beine spreizen. Ich glaube, eine Art Karaoke mit irgendwelchen Stars, aber ich kenne keinen davon.«
»Doch, doch, den hier kennst du, das ist der Typ von Star Academy.«
»Star Academy, was ist das denn?«
»Ah ja, wußt ichÕs doch. Das hat mir Franck schon erzählt, du guckst nie fern.«
»Nicht viel, nein. Aber das hier find ich klasse. Ich hab das Gefühl, mich in einem ziemlich heißen Schlammbad zu suhlen. Mmm. Die sehen alle gut aus, es gibt pausenlos Küßchen auf die Wange, und die Mädels passen gut auf, daß ihre Wimperntusche nicht verschmiert, wenn sie flennen. Total ergreifend, wirst schon sehen...«
»Kann ich mich setzen?«
»Hier«, sagte Camille, rückte zur Seite und hielt ihr das andere Ende der Decke hin. »Willst du was trinken?«
»Woran hängst du grad?«
»An einem Bourgogne Aligoté.«
»Warte, ich hol mir ein Glas.«

»Was geht denn hier ab?«
»Ich versteh nichts mehr.«
»Schenk mir was ein, ich erklärÕs dir gleich.«

Sie unterhielten sich während der Werbepause. Sie hieß Myriam, kam aus Chartres, arbeitete in einem Friseursalon in der Rue Saint-Dominique und wohnte zur Untermiete in einer Einzimmerwohnung im 15. Arrondissement. Sie machten sich Sorgen um Franck, sprachen ihm eine Nachricht aufs Handy und stellten den Ton wieder lauter, wenn die Sendung weiterging. Nach der dritten Werbeunterbrechung waren sie Freundinnen.
»Seit wann kennst du ihn?«
»Keine Ahnung. Einen Monat vielleicht.«
»Ist es was Ernstes?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Weil er nur von dir spricht! Nee, ich mach nur Spaß. Er hat mir nur erzählt, daß du supergut malst. Sag mal, soll ich dich nicht ein bißchen herrichten, wo ich schon mal da bin?« (wird fortgesetzt)

Artikel vom 24.11.2005