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Geduldig auf den Liga-Thron

Erlösung und Tabellenführung kommen spät per Doppelschlag

Von Marco Purkhart
und Wolfgang Wotke (Fotos)
Verl (WB). »Spitzenreiter, Spitzenreiter - hey, hey!« Eine Euphorie-Welle durchflutet die rasselnden Ränge an der Poststraße, mit stehenden Ovationen huldigt das stolze Publikum den nächsten Paukenschlag seiner Fußball-Helden: Nur eine Woche nach dem Top-Triumph beim Oberliga-Giganten Borussia Dortmund II erklimmt der SC Verl mit einem 2:1 (0:0) gegen die SpVgg Erkenschwick den funkelnden Tabellenthron!

Ein kollektiver Jubelschrei wird von der trommelnden Tribüne losgeschickt, als das schier unglaubliche Resultat durch die Lautsprecher hallt: Aufsteiger SC Delbrück hat tatsächlich die dumm aus der Wäsche guckenden Dortmunder mit 2:1 in die Knie gezwungen. Die zweite Pleite in Folge für den einst als unbezwingbar geltenden Tabellenführer, der jäh gestürzt ist! Die unbändige Freude der nun sogar mit zwei Punkten in Front liegenden Verler fällt an diesem zauberhaften 13. Spieltag um so größer aus, als dass die eigene Partie lange auf der Kippe steht.
Coach Mario Ermisch stellt bereits nach wenigen Zeigerumdrehungen fest: »Erkenschwick ist hier nur auf ein 0:0 aus. Die wollen den Schaden begrenzen.« Und sein erst seit einer Woche im SpVgg-Trainersattel sitzender Kollege Ingo Anderbrügge gibt später zu: »Wir wollten betonsicher aus einer kompakten Defensive heraus auf Konter lauern.« Daran beißen sich die Hausherren zunächst die Zähne aus: Mit Ausnahme einer guten Kopfballchance von Carlos Castilla nach Dayangan-Flanke (13.) bringt der SCV trotz deutlicher Überlegenheit keine gefährlichen Szenen zustande. Schon bald ist klar, gegen die teilweise mit elf Mann mauernden Gäste kommt nur eine Marschroute in Frage: geduldig weiterspielen und hinten bloß kein Gegentor fangen.
Die zweite Komponente wäre in der 40. Minute beinahe flöten gegangen, als Markus Wood volley abzieht - zum Glück präsentiert Keeper Marco Kirchhoff eine Prachtparade. Das Verler Angriffsspiel leidet derweil ebenfalls unter Stagnation. Trainer Ermisch registriert das, wechselt zur Pause Mariusz Rogowski ein. Auch wenn der Pole trotz seines gerade einmal zwei Wochen zurückliegenden, doppelten Bänderrisses ein Super-Comeback feiert und über die linke Seite jede Menge Druck entfaltet, bleiben Möglichkeiten wie ein scharfer Schuss von Jörg Bode nach einer Direktkombination über fünf Stationen weiterhin echte Mangelware. Der letzte Pass will einfach nicht gelingen.
In diesem Chancen-Vakuum macht sich unter den schweigenden Zuschauern jetzt Nervosität breit. Stadionsprecher Mario Lüke will die plötzliche Lethargie nicht hinnehmen, schließlich liegt Dortmund schon lange 1:2 hinten, was doch eigentlich Hoffnung bereiten sollte. Daher ergreift der Mikro-Mann vor einer Ecke von Soner Dayangan das Wort und fordert: »Liebe Zuschauer, hier ist heute was drin. Gebt Gas, dann wird das auch ein Heimsieg!«
Als hätte Lüke es gerochen. Genau diese Situation in der 82. Minute bringt die Erlösung: Giovanni Taverna bricht mit seinem 1:0-Kopfball den Bann. Aus zaghaften Anfeuerungsversuchen wird urplötzlich Riesenjubel. Als Vorbereiter Dayangan wenige Sekunden später das 2:0 nachlegt, grüßt der SCV auf einmal als Spitzenreiter. Der Doppelschlag verwandelt die schüchternen Beobachter endgültig in ein Party-Volk, das eine gemeinsame Identität skandiert: »Steht auf, wenn ihr Verler seid.« Niemand sitzt mehr.
Dass es seine Jungs kurz vor Abpfiff nochmal durch das unnötige 1:2 spannend machen müssen, ist für Mario Ermisch am Ende der einzige Wermutstropfen an diesem Tag des Triumphes: »Ich habe die ganze Woche gewarnt, dass das eine zähe Angelegenheit werden könnte. Aber das Gegentor am Ende war überflüssig - hier kann man sich nie richtig entspannen.«

Artikel vom 07.11.2005