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Vlotho: die heimliche
Hauptstadt des Jazz

Festival auf hohem Niveau - Danielsson überragte

Von Hartmut Horstmann (Text)
und Oliver Schwabe (Fotos)
Vlotho (VZ). Qualität hat in der Jazz-Szene einen Namen - Vlotho. Auch mit dem Programm vom Wochenende sind die Veranstalter ihren Ansprüchen treu geblieben. Nach Meinung vieler Beteiligter markierte das Lars Danielsson-Quartett am Freitag den Höhepunkt des Festivals in der Kulturfabrik.

Wie begeistert die Zuhörer vom Auftritt des Schweden Lars Danielsson waren, zeigten sie auch mit ihrer Geldbörse. »Der Musiker hat keine einzige CD wieder mit nach Hause genommen«, so Ulrike Kruse vom Veranstaltungsteam des Festivals »Jazz of Europe«. 60 Tonträger wurden am Freitag verkauft - bei 200 Konzertbesuchern eine beeindruckende Quote.
Die Augen schließen, die opulenten Klangbilder auf sich wirken lassen: Der Bassist Danielsson macht es dem Publikum leicht, sich von einer Sekunde auf die andere wie in einem anderen Film zu fühlen. Eine hypnotische Atmosphäre zaubern die vier Musiker auf die Bühne, anfangs oft melancholisch und dann immer energischer werdend. Das große melodische Moment offenbart Danielsson auch als einen wunderbaren Komponisten - nicht umsonst wurde seine CD »Libera me« von der Zeitschrift »Jazzpodium« zur CD des Monats gewählt.
Gestartet war das Festival am Donnerstag im Stadtpark Herford mit dem Vienna Art Orchestra. Den Auftakt in Vlotho machte die Saxophonistin Angelika Niescier mit ihrer Band Sublim. Die Fachzeitschrift Jazzthetik bezeichnete die Veröffentlichung »Sublim II« als »die beste deutsche Jazz-Platte der letzten zehn Jahre«.
Wie es zu diesem Lob kam, erfuhren die Besucher in der Kulturfabrik. Klassisch moderner Jazz mit Instrumentalsoli und einem hervorragendem Zusammenspiel zeigten die Musiker von ihrer besten Seite. Jedes einzelne Stück entwickelt eine große Dynamik und Energie. Und wenn man sieht, mit welcher Vehemenz Sebastian Räther seinen Contrabass zupft, ahnt man, dass Jazz auch Schwerstarbeit sein kann.
Überhaupt: Das Verständnis der Musiker untereinander scheint ausgesprochen gut zu sein. Während ausschließlich Bass und Klavier zu hören sind, lässt der »beschäftigungslose« Schlagzeuger seinen Kopf kreisen - er ist kein stiller Beobachter, sondern jemand, der die Musik genießt und seine Mitjazzer anfeuert.
»Urban« heißt eines der Stücke der Band, zu dem Angelika Niescier die Zuschauer aufforderte, sich eine Großstadt vorzustellen. Den Vlothoern fiel dies naturgemäß nicht schwer - was folgte, war ein Lied mit erstaunlichem Tempo.
Der Start in den Samstagabend war dem Quintett Big Zoom des Schweizers Lucas Niggli vorbehalten. Die Band sei Jazzcombo, Kammermusikensemble und Rockband in einem, hieß es in der Vorankündigung. Während des Konzertes indes offenbarten sich die Musiker vor allem als gute Instrumentalisten. Der Klarinettist Claudio Puntin spielte mit einer Geschwindigkeit, die einem Atemtraining für Extrembläser glich, Schlagzeuger Lucas Niggli wiederum erzeugte mit Händen und Trommelstock ein wahres Drum-Gemälde - weit entfernt von den Missgeschicken vieler Konzerte, in denen das Publikum Schlagzeugsoli zum Toilettengang nutzt.
Als Klangkünstler erwies sich auch die Trilok Gurtu Band. Die Combo um den indischen Percussionisten Trilok Gurtu zeichnete sich durch ein packendes Rhythmusgeflecht aus, welches das sitzende Kulturfabrik-Publikum zu Fußwippen und noch wilderem animierte. Die Musiker fühlten sich in Vlotho hörbar wohl - großartig der Italiener Carlo Cantini mit seinem Geigenspiel, prägnant und erregend zugleich. Wer den Musiker erlebt, beginnt zu verstehen, warum ein Geigen-Virtuose wie Paganini einst die Frauenwelt verrückt gemacht hat.
Apropos Frauenwelt: Den Abschluss des Abends bildeten die VokaLiesen mit ihrem A-Capella-Jazz. Zwar hat die traditionelle Show nach Mitternacht immer das Problem, dass bereits einige Zuhörer das Festival verlassen, dennoch sagt Ulrike Kruse: »Diejenigen, die geblieben sind, waren begeistert.«
Und wer auch am Sonntag dem Jazz-Wochenende auch noch den allerletzten Kick geben wollte, kam zum Abschlusskonzert von Kenny Wheeler und John Taylor. Piano und Trompete, zwei Musiker, die sich schon lange kennen: Jazz zum Wohlfühlen, dargeboten von zwei Menschen, die sich miteinander wohlfühlen.

Artikel vom 07.11.2005