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Schock für die ganze Familie

Kinder mit Schlaganfall: Eltern fühlen sich oft allein gelassen

Gütersloh/Vechta (WB). Wenn ein Kind einen Schlaganfall erleidet, fühlen sich die Eltern oft von den Ärzten allein gelasssen. Ein Erfahrungsaustausch von Betroffenen und Ärzten - organisiert von der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe in Gütersloh - fand vor wenigen Tagen in Vechta statt.

Dem vierjährigen Jeremie aus Trier geht es eigentlich wieder ganz gut. Wenn er es eilig hat, hinkt er leicht. Doch das sehen nur die, die wissen, dass Jeremie vor genau einem Monat einen Schlaganfall hatte. Aus heiterem Himmel. »Nach den Bluttests gehen die Ärzte davon aus, dass der Schlaganfall durch eine Windpocken-Infektion ausgelöst wurde«, erklärt Jeremies Mutter, Melanie Telle. »Aber hundertprozentig sicher sind sie sich nicht.«
Laura, 6, aus der Nähe von Darmstadt, kam schon sehr früh zur Welt, in der 26. Woche. Kurz danach erlitt sie eine Gehirnblutung. Laura ist halbseitig gelähmt. »Wegen der Hirnblutung, sagten die Ärzte«, erzählt Mutter Katrin Emig. Erst als Laura drei Jahre alt war, erfuhren ihre Eltern, dass sie wohl um die Geburt herum einen Schlaganfall hatte.
Auch die 13-jährige Loretta aus Berlin hatte vor oder während der Geburt einen Schlaganfall erlitten. Als sie ein Jahr alt war, wurde sie auf Drängen ihrer Eltern im Krankenhaus komplett durchgecheckt. Erst da kam die Diagnose. »Die Ärzte meinten, dass Kinder eigentlich keinen Schlaganfall erleiden können«, erzählt ihr Vater.
Über 70 Mütter, Väter und Kinder aus ganz Deutschland trafen sich am Wochenende in Vechta zu einem Erfahrungsaustausch. »Das Treffen mit anderen Eltern ist sehr wichtig für uns«, sagt Melanie Telle. »Die Erkrankung meines Kindes ist noch relativ unbekannt. Die Eltern hier sind mittlerweile Spezialisten auf dem Gebiet.«
Mehr als 300 Kinder erleiden jährlich in Deutschland einen Schlaganfall. Doch die Dunkelziffer ist erheblich höher. Denn oft werden die Symptome weder von den Eltern noch von den Ärzten erkannt. Auch die Behandlung eines Schlaganfall-Kindes ist nicht mit der eines Erwachsenen zu vergleichen.
»Kinder sind keine kleinen Erwachsenen, die Therapien können gänzlich anders verlaufen«, erklärt Dr. Ronald Sträter von der Uni-Kinderklinik Münster. Hier entsteht die weltweit größte Datenbank zum Thema »Kinder und Schlaganfall«. In Zusammenarbeit mit vielen Kliniken aus ganz Deutschland sind bereits die Krankheitsverläufe von über 800 Kindern gesammelt. Jährlich kommen rund 100 neue Fälle dazu.
Auch die Daten des vierjährigen Jeremies sind hier gespeichert. Denn je mehr Informationen in Münster gesammelt werden, desto besser können die Ärzte Prognosen wagen. Zum Beispiel liegt die Wahrscheinlichkeit eines zweiten Schlaganfalls nach den vorliegenden Statistiken bei rund zehn Prozent. »Wir hoffen einfach, dass es Jeremy nicht noch einmal treffen wird«, meint Melanie Telle. »Diesen Schock möchte ich nicht noch einmal erleiden. In den ersten Tagen habe ich mich so allein gefühlt.«
Die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe hat bereits zum fünften Mal einen Erfahrungsaustausch von Eltern und Fachleuten organisiert. Auch für 2006 sind weitere Treffen geplant, denn die Warteliste ist lang.
www.schlaganfall-hilfe.de

Artikel vom 05.11.2005