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Und auf einmal ziehen sich dann auch
die Lehrerinnen und Politikerinnen aus

Ein Paderborner Märchen über den Aktkalender und »Sex in the City«


Kritische Anmerkungen zu einem Kalender der Universität Paderborn mit Aktbildern kleidet diese Leserin in die Form eines Märchens:
Einmal, vor noch nicht allzu langer Zeit, gab es eine kleine Stadt, sie nannte sich Universitätsstadt, und viele, viele schöne Studentinnen lebten dort. Diese nahmen sich eines Tages andere schöne Studentinnen anderer kleiner Universitätsstädte zum Vorbild: Sie zogen sich aus und ließen sich nackt fotografieren, in abwechslungsreichen Stellungen. Nichts als die besten Absichten beseelten sie dabei: Das Ausziehen diente dem Sammeln von Geld für die Universität, an der diese Mädchen studierten. Und der Erfolg gab ihnen Recht: Endlich standen die Männer wieder in Scharen an den Kassen der Buchgeschäfte, in denen Fotografien von den Mädchen gedruckt zum Verkauf standen.
Es dauerte gar nicht lange, da hatte dieses Beispiel schon Schule gemacht. In der ganzen Republik zogen sich die Mädchen und Frauen aus, um für ihre Sache Geld zu sammeln. Lehrerinnen (natürlich nur die jungen) zogen sich aus und ließen sich fotografieren, um endlich mehr Mittel für den Umbau der Schule zusammenzubekommen. Mütter zogen sich aus und ließen sich fotografieren, um den Förderverein der Schule zu unterstützen. Ärztinnen zogen sich aus, um mehr Geld für die Forschung vorweisen zu können. Pfarrerinnen zogen sich aus, damit wieder mehr Leute in die Kirche kamen. Und es dauerte gar nicht lange, da zogen sich auch Politikerinnen aus, damit ihre Parteien wieder mehr Mitglieder bekamen.
So traf es sich auch gut, dass dieses Land eine Bundeskanzlerin hatte, die sehr gerne wiedergewählt werden wollte.
Fortan nannten die Bewohner des Landes das Fotografieren nackter, meist gut ausgebildeter Frauen »Kunst«. Bald geriet das alte Wort »Kunst«, das von Können stammt, in Vergessenheit. Immer häufiger sprach man von »Posieren«, »Entblößen« oder »Körper«, wenn man Kunst meinte.
Nur die älteren Frauen, die aber im Allgemeinen sowieso nichts mehr von der Welt verstehen, saßen manchmal zusammen und redeten von den alten Zeiten, in denen sie mit ihren Töchtern oder Schulmädchen über Würde und Selbstbestimmung der Frau gesprochen hatten. Das ist aber lange, lange her.
Gute Zeiten und schlechte Zeiten liegen zwischen damals und heute.CHRISTIANE HÖHMANN
Fürstenallee 12a
Paderborn

Artikel vom 04.11.2005