01.11.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Es muss nicht immer das Abitur sein

WB-Serie (4): Realschule und Beruf

Von Friederike Niemeyer
Steinhagen (WB). Der Trend an den Realschulen geht weg von der Berufsausbildung hin zum höheren Schulabschluss. Auch 60 Prozent der derzeitigen Steinhagener Zehntklässler an der Realschule wollen das Abitur erreichen. »Aber das ist nicht die optimale Vorbereitung auf einen Beruf«, betont Schulleiter Klaus Bißmeier. Eine weitere Folge der WB-Serie zur Berufsausbildung.

Das Problem dabei, so Bißmeier: »Diese Schüler bewerben sich nicht auf einen Ausbildungsplatz. Wenn sie dann den Qualifizierungsvermerk für die Oberstufe nicht bekommen, haben sie gar nichts.« Notgedrungen werde dann oft die Höhere Handelsschule besucht. Das sei aber eine fachbezogene Ausbildung für den kaufmännischen Bereich, erläutert Bißmeier.
Die Bewerbungssituation für die Realschüler hat sich sehr verändert, weiß auch Heinrich Lübbert, der seit 23 Jahren an der Realschule unterrichtet und die Berufswahlvorbereitung koordiniert. »Früher gab es für Realschüler gar keine Probleme. Jetzt ist die Zahl der Plätze deutlich gesunken, und mehr Abiturienten sind gefragt.«
Für einen Ausbildungsberuf entschieden haben sich auch die 16-jährigen Sina Richter, Carolin Nikolei, Marvin Mescher und Sebastian Ploch. Marvin etwa möchte Industriemechaniker werden. Eine Zusage hat er auf eine seinr 15 Bewerbungen bislang noch nicht erhalten. Sebastian möchte Mechatroniker werden, hat immerhin ein Vorstellungsgespräch vor Augen. Carolin möchte Krankenschwester werden. Weil dazu aber 18 das Mindestalter ist, bewirbt sie sich zunächst für ein Freiwilliges Soziales Jahr. Eine Lehrstelle zu finden, dafür stehen die Chancen gut. »Das Problem bei Krankenschwestern ist eher, hinterher übernommen zu werden.«
Sina ist noch unschlüssig. Sie strebt eine Lehre zur Bankkauffrau an, müsste dazu auch 18 Jahre alt sein. Jetzt will sie erst einmal für einen guten Abschluss pauken. Wenn alles nichts wird, könnte sie sich auch eine Tischlerlehre vorstellen, um in Richtung Inneneinrichtung zu gehen.
Es sind die klassischen Berufswünsche, die die meisten Schülerinnen und Schüler haben, ist die Beobachtung von Heinrich Lübbert. Das Interesse am produzierenden Gewerbe nimmt allerdings ab. »Früher gab es häufig die Berufswahl Industriemechaniker. Begabte junge Leute konnten dann noch das Fachabitur und ein Studium machen«, weiß Lübbert. Er sieht auch ein Problem darin, dass viele Schüler gar nicht mehr wissen, was sie können. »Die Hobbys sind sehr monoton geworden. Beim Computerspielen oder Musikhören sind keine berufsbezogenen Fertigkeiten gefordert.«
Den Schülern ihre Stärken und Schwächen bewusst zu machen, ist die vordringliche Aufgabe der Berufswahl-Unterstützung an der Realschule. Das geht in Klasse sieben mit der »Amazonen-Prüfung« los, dem Mädchen-Techniktag. Dann kommt in Klasse acht neben dem Berufsparcours der ebenfalls praktisch orientierte kooperative Berufswahlunterricht. Dabei wird an neun Nachmittagen mit Lehrern vom Haller Berufskolleg ein Produkt hergestellt. Betriebspraktika und Bewerbungstraining folgen in Klasse neun. Es gibt Betriebsbesichtigungen - etwa bei der Partnerfirma Timken, an der viele ehemalige Realschüler beschäftigt sind.
Gute Kontakte der Realschule zu Firmen verhelfen auch schon mal zu einem Ausbildungsplatz, wenn die Bewerbungsphase vorbei ist. »Im vorigen Jahr konnten wir so auf den letzten Drücker zwei Schüler in das produzierende Gewerbe vermitteln«, berichtet Klaus Bißmeier.

Artikel vom 01.11.2005