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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer em. Joachim Schmidt


Auch wenn man leicht einen anderen Eindruck haben könnte: Uns geht's gut! - Aber Sorgen machen wir uns manchmal doch, wenn wir daran denken, mit wessen Geld unsere Regierungen die Schulden tilgen sollen, die in den vergangenen Jahren so hemmungslos angehäuft wurden.
Wer sich über die Kaufzurückhaltung seiner Mitbürger ärgert, sollte sich besser darüber beschweren, dass die Zukunftsaussichten so unsicher geworden sind: Weil die Großunternehmen subventioniert werden und ihnen so viele Steuerschlupflöcher geöffnet wurden, und weil die Aktien steigen, wenn ein Unternehmen die Arbeitslosigkeit vergrößert, muss der einzelne vorsorglich sparen; denn am Ende werden wohl Steuern und Abgaben steigen und die Preise sowieso.
Nun hat Jesus uns in der Bergpredigt gesagt: Sorgt euch nicht! - Sorgt euch zu erst um die Herrschaft Gottes und seine Gerechtigkeit, dann wird euch alles wie von selber zufallen, worum ihr euch sorgt.
Es ist ja interessant: Jesus sagt nicht, dass wir uns überhaupt keine Sorgen machen sollen! Er sagt uns viel mehr, welche Sorge Vorrang haben muss, damit alle anderen Sorgen bedeutungslos werden.
Ich denke, es ist nicht ganz unwichtig, dass das, wovon hier und auch sonst im Neuen Testament immer wieder die Rede ist, wörtlich mit »(Königs-)Herrschaft Gottes« übersetzt werden muss und nicht mit »Reich Gottes«. Es geht also nicht um ein himmlisches Territorium, sondern um die irdischen Verhältnisse: Das »Reich Gottes« ist also da, Menschen seinen Willen und seinen Geist herrschen lassen! - Die Herrschaft Gottes kommt nicht von außen, sondern durch uns, wo wir uns in unserm Denken, Reden und Handeln von seinen Regeln leiten lassen, und nicht von den Regeln des menschlichen Egoismus oder der menschlichen Profitgier.
Es ist schon erstaunlich, dass im Neuen Testament die Begriffe »gerecht« und »Gerechtigkeit« öfter gebraucht werden als Sünde und sündigen oder Liebe und lieben. Ja, wir Christen haben schon oft merkwürdige Vorstellungen und Vorurteile gegenüber der Bibel!
Interessant ist auch, dass eine Vokabel für »Sünde« im griechischen Neuen Testament präzise Übersetzt »Ungerechtigkeit« oder »Unrecht« bedeutet. - Die Vorstellung davon, was wirklich »Sünde« ist, war eigentlich immer etwas schwammig; aber in unserer Zeit, in der der Glaube ohnehin für viele keine so große Rolle mehr spielt, hat dieser Begriff noch mehr an Klarheit und Bedeutung verloren.
Wo wir niemandem schaden, begehen wir auch keine Sünde; allerdings schaden wir oft auch anderen durch unsere Gedankenlosigkeit, durch unsere Blindheit und Empfindungslosigkeit gegenüber anderen Menschen. Aber die eigentliche Sünde passiert da, wo wir uns auf die Seite der Ungerechtigkeit schlagen, - wo wir es geschehen lassen, dass anderen ihr Recht vorenthalten wird, - wo wir aus Feigheit unser Meinung nicht sagen, - wo wir kritiklos abnicken, was die uns vortragen, die wir für Autoritäten halten, - wo wir uns hinter der Stimmenthaltung verstecken.
Jesus fordert von uns Nächstenliebe, und er meint damit nicht ein Gefühl der Sympathie gegenüber allen Menschen, sondern unsere Achtung und Hilfe für die, die uns brauchen, unsern Einsatz für ihr Recht, - und das ohne Ansehen der Person.
Zur Gerechtigkeit gehört auch die Solidarität, die säkulare Form der Nächstenliebe, dass der Starke für den Schwachen eintritt, dass der Reiche in die gemeinsame Kasse mehr einzahlt als der Arme, dass der Einflussreiche sich einsetzt für den, der gering geachtet wird.
Wie hat Jesus gesagt: So wie ihr von den Menschen behandelt werden wollt, so behandelt sie auch! - Das nennen wir die »goldene Regel« Jesu; und er sagt das ist die ganze Bibel!
(Bibelstellen: Mt.6,33; 7,12)

Artikel vom 05.11.2005