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Die Eleganz fährt NSU »Autoroller«

Bernt Finkeldey (29) pflegt die »Prima 3 « aus den Jahr 1956 der Nieheimer Fahrschule Schütze

Von Wolfgang Braun
Nieheim (WB). Ganze Generationen von Fahrschülerinnen und Fahrschülern haben auf dieser NSU »Prima 3« der Nieheimer Fachschule Schütze das Rollerfahren gelernt. Jetzt hegt und pflegt Bernt Finkeldey, Inhaber der Nieheimer Metallbaufirma Mateko, dieses noch fahrbereite zweirädrige Zeugnis längst verflossener Wirtschaftswunderzeiten.

Den »Autoroller« - wie er von NSU beworben wurde (»Besser fahren , prima fahren«), hatte die Fahrerlehrerin Erika Schütze bis in die 80-ziger Jahre hinein in Nieheim, Brakel und Gehrden - wo die Fahrschule Schütze Zweigstellen unterhielt - eingesetzt. Früher konnte man auf der 147-Kubikmaschine mit ihrem 5,7 PS Zweitaktmotor sogar die praktischen Fertigkeiten für einen Führerschein der Klasse 1, mit dem man auch ein Motorrad fahren konnte, erwerben. Erika Schütze war die Patentante des Oldtimer-Liebhabers, so blieb die »NSU Prima« in der Familie.
In den 50-ziger und 60-ziger Jahren waren diese »Einspurautos«, wie sie auch in der Werbung genannte wurden, das Massenfortbewegungsmittel der eleganten Frau, des eleganten Herrn - für einen Kleinwagen fehlte das Geld.
Man war ja auch in allerbester Gesellschaft: Audrey Hepburn und Gregory Peck kurvten in der 1953 in den Kinos bejubelten Erfolgskomödie »Ein Herz und eine Krone« auf einer weißen »Vespa« durch Rom. Das Filmplakat zeigte die beide Trendsetter lachend auf einem Roller vor dem Kollosseum.
Manche Kulturwissenschaftler machen diesen Film für die weltumspannende Motorroller-Manie verantwortlich. So viel ist aber sicher: In Italien stand die Wiege dieses Kultgefährts: Kurz nach dem Krieg gingen Motorroller dort in zwei ehemaligen Rüstungsbetrieben in Serienfertigung. Marken wie die legendäre »Vespa« und die »Lambretta« wurde die Renner. 1950 kauften die Neckarsulmer die Nachbaulizenz für die »Lambretta«, die dann 1956 zur NSU »Prima« weiterentwickelt wurde.
So hatte das Modell, das 1956 in der Fahrschule Schütze in Nieheim ihren Dienst aufnahm, schon keinen Kickstarter mehr, den man mit einem gewissen Aufwand durch kräftiges Treten betätigen musste. Das kleine Armaturenbrett zierte ein elektronischer Startknopf, Uhr und Tacho sowie eine Kraftstoff-Kontrollleuchte.
Diese sehr gut erhaltene »Prima« war eine der fast 520 000 Zweiräder, die 1961 in der Hochphase des Rollerbooms beim Kraftfahrbundesamt gemeldet waren - 1979 war der Bestand dann schon auf 19 000 geschrumpft.
Als Inbegriff der Wirtschaftswunderzeiten war Bernt Finkeldey auf seiner NSU zusammen mit seiner Schwester Vera im Petticoat vor fünf Jahren durch das Dortmunder Westfalenstation gebraust. 5 000 Personen hatten sich dort zur Feier des 85. Geburtstags des kfd-Diözesan-Verbandes Paderborn eingefunden und die historische Revue bewundert, deren Bestandteil auch der »Autoroller« aus Nieheim war.
Der Metallbaumeister Finkeldey besucht Oldtimer-Märkte wie das Technorama in Kassel und Hannover, um sich Ersatzteile für seine »Prima«, die mit einem Zweitakter-Gemisch betankt wird zu sichern. »Vor kurzem habe ich eine verchromte Schutzblechverzierung aufgetrieben, die eigentlich zur ÝPrimaÜ dazugehört, aber bei einer Fahrschulmaschine zu vielen Blessuren ausgesetzt gewesen wäre.«
Aber auch beim Internetsauktionator E-Bay wird er machmal fündig. Eine Kopie einer Ersatzteilliste aus dem Jahr 1957 hilft bei der Suche. Der 29-jährige, der Anfang des Jahres nach dem Tod von Reinhold Spier die Metallbaufirma Mateko mit drei Gesellen und zwei Auszubildenden übernahm, hat ein gerüttelt Maß an Erfahrung mit Oldtimern.
So brachte er einen Barkas Framo, einen Kleinlaster aus der DDR, auf Vordermann und verkaufte ihn. Seine Opel-Rekord- D-Sonderanfertigung, ein schwarzer Bestatter-Wagen mit blauen Sitzen aus dem Jahr 1973, ist jetzt Eigentum eines Hamburger Sammlers.

Artikel vom 29.10.2005