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Das Wort zum Sonntag

Von Diakon Arthur Springfeld


Kennen Sie das auch? Manchmal sieht man ja den Wald vor lauter Bäumen nicht. Das ist nicht nur in den deutschen Steuergesetzen so, sondern war auch bei den Juden zur Zeit Jesu ein großes Problem. Sie mussten über 600 religiöse Gesetze einhalten. Geregelt war, wie viele Schritte man am Sabbat gehen durfte, um den Sabbat dennoch zu heiligen, oder wie oft und zu welchen Gelegenheiten man sich die Hände waschen musste. Und darum fragten sie Jesus: »Meister, welches ist denn das wichtigste Gesetz?« »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben!«, war die schnelle Antwort von Jesus, und »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!«
Bleiben wir bei der ersten Hälfte der Antwort »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben!« Klare Aussage! Ganz selbstverständlich, ohne Nachzudenken, habe ich am Sonntag im Gottesdienst gerne und laut gesungen: »Ich will Dich lieben meine Stärke, (...) als meinen allerbesten Freund!« Erstmal stehe ich auch dazu. Für meinen besten Freund habe ich Zeit. Wenn er mich braucht, bin ich da. Nahezu alles mache ich möglich, wenn er mich darum bittet. Klar doch - gehört sich doch auch so, ist doch schließlich mein bester Freund.
Umgekehrt ist es natürlich genauso, da bin ich absolut sicher, und das tut gut und ist gut zu wissen. Wenngleich ich es auch leicht habe mit meinem Freund, ob er das mit mir auch so sieht? Wir sind schon lange Freunde und wir feiern nicht nur zusammen, wir erleben nicht nur gemeinsame schöne Zeiten, freuen uns gemeinsam über die Enkelkinder, wir können uns auch gemeinsam ärgern, weinen und traurig sein. Wir verstehen uns gut, auch ohne dauernd zu reden, auch ohne Antwort auf manche Fragen, auch ohne Kontakt über einige Wochen.
Natürlich nehmen wir Rücksicht aufeinander, aber wir sind nicht immer einer Meinung. Das schadet unserer Freundschaft nicht. Die Freundschaft zum Freund macht das nicht kaputt, bringt dadurch keinen Riss, sondern wird erst stark durch die Ehrlichkeit.
Von meinem Freund erwarte ich, dass er nicht die bequeme Antwort gibt, dass er mir nicht Honig um den Bart schmiert, er soll hilfreich seinen Finger in die Wunde legen, es darf auch schmerzen, denn nur dadurch hat sie eine Chance, zu heilen.
Freundschaft zum allerbesten Freund geht nie kaputt, hört nie auf, ist endlos. Ihm darf ich auch ganz vorwurfsvoll sagen, nein, manchmal schreie ich ihn an: »Warum machst Du das? Warum lässt Du das zu? Bedeuten Dir die Kinder im Sudan denn gar nichts oder die zerrissenen Familien in Afghanistan? Du könntest den Siechenden doch die Schmerzen nehmen und die Trauernden trösten! Warum machst Du das beziehungsweise machst das nicht? Ich verstehe Dich nicht!« Und er hört sich das an! Er hört sich alles an. Das ist mein Freund! Mein allerbester Freund! Schon während ich ihn anschreie, habe ich oft seine Antwort schon verstanden. »Gehe hin, wenn du mich liebst, dann liebe den Nächsten wie dich selbst!«
Wollte ich denn mein Freund sein? Da fängt mein Problem schon an. Mein Freund zu sein ist ganz schön schwer, zumindest für meinen allerbesten Freund. Wie oft habe ich ihn alleine gelassen, wie oft habe ich ihn enttäuscht und traurig gemacht. Wie oft hat er mich gerufen und ich bin nicht gekommen. Er hat mich angerufen und ich habe nicht geantwortet. Er brauchte meine Hilfe und ich habe mich versteckt. Wirkliche Freundschaft hält das aus. Tiefe Freundschaft wird dadurch nicht einfach, aber nicht zerstört. Mein allerbester Freund kann damit umgehen. Darum ist er ja mein Freund.
Vielleicht sollte ich es ihm etwas leichter machen, vielleicht sollte ich das Sprichwort wirklich wahr machen: »Lass auf dem Weg zu deinem Freund kein Gras wachsen!«
Er wünscht es sich, aber er besteht nicht drauf - er hofft es, aber er fordert es nicht ein - er ist traurig, aber er gibt mich nicht auf. So ist er eben, er kann gar nicht anders, das ist mein Freund - mein allerbester Freund.
Lassen Sie Ihren Freund nicht warten, Sonntag ist ein guter Tag für Freundschaften.

Ihr Arthur Springfeld

Artikel vom 29.10.2005