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»Frage, was du  für
Kirche tun kannst«

Oberkirchenrat zu Zukunftsfragen

Werther-Rotingdorf (law). Mit dem Wunder der Sturmstillung lässt sich nach Dr. Martin Stiewe die Situation der Kirche und die unsichere Hoffnung am besten verkraften. Trotz der stürmischen Zeiten sollen die Menschen Vertrauen haben, riet der den Besuchern beim »Dämmerschoppen« des Ev. Männerkreises auf dem Hof Kerksiek am Mittwochabend.

Dr. Martin Stiewe ist Oberkirchenrat im Ruhestand und bildet an der Kirchlichen Hochschule Bethel die Theologen von morgen aus. Sein Thema: Wohin steuert die Kirche?«
Stiewe blickte zunächst in die Geschichte zurück, auf die besondere Unterstützung, die sich »Vater Staat und Mutter Kirche« noch bis etwa Ende des Ersten Weltkrieges hätten angedeihen lassen. Für die Zukunft ist sich Stiewe nicht sicher, ob Staat und Kirche auch weiterhin gegenseitiger Unterstützung sicher sein können. Doch die Stimmen, die für ein komplett unabhängiges Nebeneinander votieren, kann er nicht verstehen. »Denken sie nur an das weite Gebiet der Diakonie. Warum sollten Staat und Kirche nicht im Rahmen unserer Verfassung partnerschaftlich zum Wohle der Menschen zusammenarbeiten?« Bedauerich findet er den Traditionsabbruch. »Die Botschaft der Kirche ist zu einem unter vielen kulturellen und religiösen Angeboten geworden.« Doch Stiewe sieht er dies nicht nur negativ. Denn: »Die Betonung einer individuellen Entscheidung für die Kirche entspricht ja unserem Verständnis von der Freiheit des christlichen Glaubens.«
Seit der Gründung der Bundesrepublik habe sich die Kirche auch weiterentwickelt, so Stiewe. Das Bild eines Dienstleistungsunternehmen sei durch die Unterhaltung von Kindergärten, Diakoniestationen sowie anderen Einrichtungen und Diensten wie Ehe-, Familien- und Suchtberatungsstellen entstanden. »Die Bevölkerung sieht in der Kirche immer mehr ein großes Service-Unternehmen, das bei Bedarf zur Verfügung zu stehen hat und mit dem Glauben eigentlich wenig zu tun hat.«
Natürlich kamen auch die schwierige Finanzlage zur Sprache. Alleine die Ev. Kirche von Westfalen hat in den vergangenen Jahren ein Drittel ihrer Finanzkraft verloren. Doch die anderen reformierten Kirchen in Europa könnten von solch einem Haushalt immer noch träumen, ordnete Stiewe die Zahlen ein. Das eigentlich Gefährliche seien nicht die Finanzen, sondern die dadurch entstandene resignative und gereizte Stimmung in der Kirche.
Zu den Zukunftsperspektiven: Nur behutsam könne man sich mit der Kirche der Zukunft beschäftigen und dürfe gleichzeitig nicht die Hände in den Schoß legen, so Stiewe. Das reformatorische Erbe - nämlich der besondere Stellenwert des einzelnen Christen - müsse wieder neu entdeckt werden. Mit dem umgewandelten Kennedy-Zitat »Frage nicht, was deine Kirche für dich tun kann. Frage, was du für deine Kirche tun kannst«, forderte Stiewe jeden Einzelnen auf, aktiv zu werden und Fragen zu stellen. Der christliche Glaube sollte nicht nur im stillen Kämmerlein praktiziert werden, sondern nach außen in die Öffentlichkeit dringen. Ein guter Kompass sei dafür der Gottesdienst, der durch nichts in der Gemeindearbeit zu ersetzen sei.

Artikel vom 28.10.2005