27.10.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Ein anderer Mann hatte den Mord schon gestanden

Der Falsche auf der Anklagebank?

Von Hubertus Hartmann
Paderborn (WV). »Denn bitter ist der Tod« - so heißt ein Krimi der Schriftstellerin Elisabeth George. Elisabeth Tewes las ihn im Bus auf der Rückfahrt von Wurzen nach Warstein. Wenige Stunden später wurde die damals 41-jährige Jugendamtsleiterin selbst Opfer eines Gewaltverbrechens.

»Das ist schon irgendwie makaber«, meinte Richter Bernd Emminghaus gestern am zweiten Verhandlungstag des Prozesses gegen den mutmaßlichen Täter Rainer H. (33). Er soll die Sozialpädagogin aus Paderborn am 10. Oktober 1993 auf einem Waldweg bei Grundsteinheim auf brutale Weise umgebracht haben. Als der in Sicherungsverwahrung sitzende Serienvergewaltiger vergangenes Jahr nach einem DNA-Gutachten mit dem Tötungsvorwurf konfrontiert wurde, bestritt er, mit der Sache irgendetwas zu tun zu haben. Seitdem schweigt Rainer H., sagt auch im Schwurgerichtssaal kein Wort.
Vielleicht sitzt er tatsächlich zu Unrecht auf der Anklagebank. Sein Verteidiger Andreas Carl stellte gestern einen überraschenden Beweisantrag. Er will zwei Männer aus Detmold im Zeugenstand vernehmen. Einer von ihnen, Manuel A., soll mehrfach vor Freunden geprahlt haben, er habe den Mord zusammen mit seinem Kumpel Klaus-Peter M. begangen. Gegenüber der Polizei widerrief er allerdings dieses Geständnis. Andererseits hatte ein Zeuge beobachtet, wie zwei Männer die Heckklappe des in Detmold aufgefundenen blauen Golf von Elisabeth Tewes öffneten und eine Jacke heraus nahmen. »Unverständlicherweise hat die Polizei zwischen dem Geständnis und dieser Zeugenaussage nie einen Zusammenhang hergestellt«, kritisiert Carl. Das sei damals offenbar übersehen worden. Der Anwalt: »Die beiden Männer sind wegen Gewalttelikten vorbestraft und können als Täter zumindest nicht ausgeschlossen werden«.
Im Dunkeln liegt nach wie vor das Motiv, das Rainer H. gehabt haben könnte, die Jugendamtsleiterin zu töten. Sicher scheint, dass zwischen Täter und Opfer ein erbitterter Kampf stattgefunden hat, bevor die Frau mit ihrem eigenen Auto überfahren wurde. Hinweise auf ein Sexualdelikt, das zu dem Angeklagten passen würde, gibt es nicht.
Der inzwischen verstorbene Leiter der Mordkommission, Wolfgang Fischer, hatte in einem Vermerk niedergeschrieben: »Es könnte sich um einen möglichen Raubmord handeln«. Elisabeth Tewes hatte unmittelbar vor der Wochenendfahrt in Warsteins sächsische Partnerstadt Wurzen noch 300 D-Mark abgehoben und kaum etwas ausgegeben. Trotzdem fanden sich in der Geldbörse der Getöteten nur noch 4,47 Mark Hartgeld. Rainer H. überfiel auch schon Frauen, um ihnen Geld zu rauben. Aber er habe den Frauen ja nie Gewalt angetan, so sein Einwand im Polizeiverhör. Nach wie vor unbeantwortet ist auch die Frage, wie die beiden zweifelsfrei von dem Angeklagten stammenden Blutflecken auf den Parka von Elisabeth Tewes gelangt sind.
Das Urteil wird frühestens nächste Woche erwartet.

Artikel vom 27.10.2005