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Ein Lichtkleid für den Stadtturm

Kunstobjekte finden Zustimmung


Die künstlerische Beleuchtung von zwei Stadttürmen (WV vom 22. Oktober) veranlasst diesen Leser zu philosophischen Betrachtungen:
Es ist erfreulich und schön, dass nun zwei Türme mit Licht-Installationen wieder zu leuchten beginnen sollen.
Der französische Gestalter des Maspernturms, Francois Morellet, gab seinem Werk den Namen »plus ou moins«, was im Deutschen »mehr oder weniger« bedeutet. Man muss schon den Artikel »le« vor »plus« oder »mois« setzen, wenn damit das Plus- oder Minus-zeichen gemeint sein soll. »Mehr oder weniger« bedeutet viel mehr als »plus und minus«. Es ist schwer vorstellbar, dass der Künstler mit solchen Zeichen auf die Sparkasse in der Nähe hätte anspielen wollen.
Stattdessen hat er dem Turm ein »Lichtkleid« gegeben - nämlich senkrechte Lichtstäbe, die das Auge in die Höhe führen, und waagerechte Stäbe, die der Rundung der Turmwand nachspüren. Genau dieser Umstand, dass die waagerechten Stäbe nicht gerade sind, auch wenn dieses von unaufmerksamen Betrachtern nicht wahrgenommen wird, macht sie für ein »Minuszeichen« ungeeignet.
Künstler lieben es oft, den Titel ihres Werkes offen zu halten, um nicht viele von dessen Aspekten auszuschließen. So könnte in diesem Fall die Einfühlung des Künstlers in die Gesamtsituation des Platzes sowie die Höhe und die Kreisform des zylindrischen Turms zu dessen spezifischer Ordnungsgestalt inspiriert haben, die im Wechsel der Betrachtung eine gewisse Dynamik entfaltet. Diese Dynamik findet im Wechsel der jeweils ein- oder ausgeschalteten Leuchtstäbe ihren Ausdruck. Das damit verbundene »Mehr oder Weniger« an Lichtfülle lässt den verhältnismäßig stillen Turm in der Dunkelheit lebendig werden.
Als eine Art Knotenpunkt in der Platzsituation nimmt er, indem er selbst als Turm betont wird, Beziehung zu seiner architektonischen Umgebung auf, wohingegen er unter der Deutung von mathematischen Symbolen von seinem Platz isoliert würde.
Die Fülle der Beziehungen, die die wertvolle Gestaltung dieses Turms hervorbringt, sollte darum besser mit »mehr oder weniger« als mit »plus und minus« angesprochen werden. WALTER SCHRADERDietrich-Bonhoeffer-Straße 22Paderborn

Artikel vom 27.10.2005