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Sein Herz schlägt in Sürenheide

Nur noch Fotos erinnern Alfons Schmiegel (85) an Grenzmark in Ostpommern

Von Elke Hänel (Text und Foto)
Verl (WB). Grenzmark in Ostpommern - dort wurde Alfons Schmiegel im September 1920 geboren. Gelebt hat er in seiner Heimat aber nur 19 Jahre - nicht einmal die Hälfte der Zeit, die er inzwischen in Sürenheide ansässig ist.

Der Zweite Weltkrieg und seine Folgen waren es, die dem heute 85-Jährigen die alte Heimat genommen und ihm eine neue Heimat gegeben haben. »Schon im Oktober 1939 bin ich zum Kriegsdienst gekommen«, erzählt Alfons Schmiegel. Sechs Jahre lang kam er höchstens mal für kurze Zeit im Urlaub nach Hause. Gegen Ende des Krieges wurde Alfons Schmiegel schwer verwundet und kam ins Lazarett. »Aber so entging ich wenigstens der Gefangenschaft«, weiß er heute.
Als er schließlich in Zwickau aus dem Lazarett entlassen wurde, kannte er nur ein Ziel: Grenzmark. »Da waren Ende Januar die Russen einmarschiert und von meiner Familie hatte ich seitdem nichts mehr gehört.« Drei Tage lang brauchte er für den gefahrenvollen Weg nach Ostpommern, den er teilweise auf einem Kohlewagen zurücklegte. »Als ich im August zu Hause ankam, waren meine Mutter und meine Großmutter noch da, aber mein damals 60-jähriger Vater war nach Russland verschleppt worden, um die Stadt Stalingrad wieder mit aufzubauen. Viel später haben wir dann gehört, dass er nur noch bis zum Juli 1945 gelebt hat.«
Grenzmark, inzwischen unter polnischer Verwaltung, bot der Familie kein wirkliches Zuhause mehr. »Wir mussten aus unserem Haus raus und zuletzt mit drei anderen Familien im Gemeindehaus hausen«, erinnert sich der 85-Jährige an eine schlimme Zeit. »Im Oktober konnten wir endlich mit einem Transport mit und kamen nach Birna an der Elbe. Nach zwei Wochen Quarantäne hat man meine Großmutter, meine Mutter und mich dann nach Leipzig geschickt.« Doch an das Stadtleben konnten sich die Drei, die zu Hause eine kleine Landwirtschaft betrieben hatten, nicht recht gewöhnen. »Als mein Bruder, der im Westen wohnte, zu Besuch kam, beschlossen wir, zu ihm nach Avenwedde umzusiedeln«, erzählt Alfons Schmiegel. »Dort lebten wir dann alle zusammen in einem kleinen Zimmer mit Stockbetten. Erst nach zweieinhalb Jahren konnten wir in zwei Zimmer umziehen.«
1952 heiratete Alfons Schmiegel und 1965 zog das Ehepaar nach Sürenheide. Eine Siedlungsgesellschaft hatte dort zunächst 32 Häuser errichtet, die für Vertriebene bestimmt waren. Noch heute zeugen Straßennamen wie Allensteiner Straße, Ermlandstraße und Tannenberger Straße von diesem Teil der deutschen Geschichte. »Zusammen mit unseren Nachbarn waren wir die ersten, die hier einzogen«, erinnert sich Alfons Schmiegel. Und erzählt, dass man jüngst ein Straßenfest zum 40-jährigen Bestehen der Siedlung gefeiert habe. »Ich fühle mich hier zu Hause. Hier wohne ich ja länger, als ich in meiner Heimat gelebt habe«, sagt der Rentner heute. Nur einmal hat er die alte Heimat besucht. 1974, zusammen mit seiner inzwischen verstorbenen Frau, seinem Bruder, dem einstigen Nachbarsjungen und deren Partnerinnen. »Unsere Scheune war abgebrannt und unser Haus sah von außen sehr ungepflegt aus. Wenn man so was sieht, kommen einem schon die Tränen«, schildert Alfons Schmiegel den Moment, als er sein altes Zuhause wiedersah. Heute denke er ab und zu noch an die Heimat, er habe auch noch Fotos, »aber was soll's - es ist vorbei«, meint er und zuckt die Schultern.
In Sürenheide schätzt er vor allem die gute Gemeinschaft mit den Nachbarn. Die einst völlig identischen Häuser sind inzwischen fast alle umgebaut und erweitert worden - die nächste Generation ist hier schon fest verwurzelt.

Artikel vom 27.10.2005