22.10.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Musik ist ihre Leidenschaft

Die von Geburt an fast blinde Sabine Prange spielt konzertreif Klavier

Von Moritz Winde (Text und Foto)
Bad Oeynhausen (WB). Sabine Prange sitzt an ihrem weißen Klavier. Sie spielt den »Moonriver«. Gekonnt bewegt die Oberbecksenerin ihre Hände über die Tasten und verschmilzt mit der harmonischen Melodie. Sie spielt ohne Noten. Im Gedächtnis hat sie die Tonfolge gespeichert. Sabine Prange ist von Geburt an stark sehbehindert. Am Wochenende gab sie ihr erstes Konzert.

»Ich habe nur noch zehn Prozent Sehvermögen. Doch darüber bin ich dankbar«, sagt eine bescheidene 39-Jährige, die sich mit ihrer Behinderung arrangiert hat. Bei gutem Licht kann Sabine Prange sogar mehr als bloße Umrisse erkennen. Und knallige Farben sind für sie leichter zu deuten als Grautöne. Doch da die Bad Oeynhausenerin mit dieser Einschränkung groß geworden ist, hat sie keinen Vergleich. »Ich weiß nicht, wie es ist, richtig sehen zu können«, sagt die Fast-Blinde, die mit neun Jahren ihre große Leidenschaft für sich entdeckt hat. »Das Klavier hat mich bereits in der Grundschule fasziniert. Ich wollte es schon immer lernen. Es gehört irgendwie zu meinem Leben dazu«, erinnert sich Sabine Prange, die in einer musikalischen Familie aufgewachsen ist. Die Liebe zur Musik hat sie also in die Wiege gelegt bekommen.
Die Tatsache, dass sie als Blinde Klavier spielt, findet das stellvertretende Mitglied des Behinderten-Beirates alles andere als außergewöhnlich. »Ich habe an diesem Instrument genau so Freude wie Sehende. Das ist doch völlig normal, schließlich ist der Klang wunderschön. Ich bin ja nicht taub«, sagt eine selbstbewusste Frau, die großen Wert darauf legt, wegen ihrer Einschränkung in keiner Weise bevorzugt oder diskriminiert zu werden. Denn nicht selten erlebe sie auf der Straße unangenehme Situationen. »Viele Menschen wissen einfach nicht, wie sie sich mir gegenüber verhalten sollen. Es gibt aber auch immer wieder schöne Erlebnisse«, erzählt die 39-Jährige von ihren Erfahrungen im Alltag.
Das Klavierspielen ist für die Sabine Prange ein idealer Ausgleich. Täglich versucht sie ihrem schneeweißen Piano Zeit zu widmen, um neue Stücke einzustudieren und alte aufzufrischen. Dabei bekommt sie regelmäßig Unterstützung von ihrer Lehrerin. Insbesondere das Lernen von Liedern erfordert hohe Konzentration. Denn da Sabine Prange die Blindenschrift nur in Ansätzen beherrscht, muss sie sich Takt für Takt einprägen. »Auf der CD höre ich es mir an und versuche es dann nachzuspielen«, sagt die Musikerin, die klassische Stücke und Evergreens favorisiert.
Am Wochenende gab Sabine Prange ihr erstes Konzert. Im Gohfelder Naturfreundehaus begeisterte die blinde Klavierspielerin mit ihrer eineinhalbstündigen Darbietung. »Ich hatte Lampenfieber. Schließlich war es mein erstes Solo-Konzert«, sagt sie. Sie hat zwar noch keine konkreten Pläne, möchte aber unbedingt wieder auftreten. »Es ist ein schönes Gefühl, andere Menschen zu unterhalten und zu erfreuen.« Für ihren Auftritt nahm sie keinen Eintritt, sondern rief zu Spenden auf. 360 Euro überreichte sie dem Ronald-McDonald-Haus für Eltern herzkranker Kinder (WESTFALEN-BLATT vom 21. Oktober).

Artikel vom 22.10.2005