21.10.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

»Müssen Vorsicht walten lassen«

Heimische Geflügelbesitzer halten Eil-Verordnung aus Berlin für übertrieben

Von Alexandra Rüther
und Frank Spiegel
Kreis Höxter (WB). »Um die Sache wird viel zu viel Aufhebens gemacht«, sind sich Meinhard und Monika Kordisch aus Brenkhausen einig. Das Landwirtsehepaar hält derzeit 170 Gänse unter freiem Himmel, damit soll von Samstag an Schluss sein.

Verbraucherschutzminister Jürgen Trittin hat veranlasst, dass Geflügel nur noch in Ställen gehalten werden darf, um heimische Tiere vor der gefürchteten Vogelgrippe zu schützen. »Meiner Meinung nach ist das übertrieben«, sagte Monika Kordisch gestern im Gespräch mit dem WESTFALEN-BLATT. Nur weil in anderen europäischen Ländern hier und da das Virus aufgetaucht sei, müsse man nicht solche Maßnahmen ergreifen. »Außerdem ist bei uns im Kreis Höxter kein Landeplatz für Zugvögel«, meint sie.
Die Verbraucher seien nun sehr verunsichert. »Manche, die Martins- und Weihnachtsgänse bestellt haben, überlegen nun, ob sie sie auch wirklich haben wollen«, so Meinhard Kordisch. Der Absatz sei schon zurückgegangen.
Aber da es nun einmal Pflicht ist, wird das Landwirtsehepaar die Tiere von Samstag an im Stall halten. Für die Gänse ein schlechter Tausch: Derzeit können sich die 170 Tiere auf zwei Hektar Fläche frei bewegen, von Samstag an werden es nur noch 50 Quadratmeter sein. »Bisher sind die Tiere nur in der Nacht in dem Stall«, so Meinhard Kordisch. Da die Stallpflicht bis zum 15. Dezember gelten soll, will er aber einen überdachten Bereich seines Hofes baulich so herrichten, dass die Gänse mehr Platz haben. Fast 200 Quadratmeter sollen es dann sein. »Die Tiere werden jetzt geschlechtsreif, das wird auf so beengtem Raum sicher zu Problemen führen«, weist der Landwirt auf drohende Reibereien unter den Tieren hin. Hinzu komme, dass sich auch die Federn schlecht bis gar nicht vermarkten ließen, wenn die Gänse nicht unter freiem Himmel lebten und die Federn regelmäßig vom Regen gereinigt würden.
Werner Menne, Vorsitzender des Landwirtschaftlichen Kreisverbandes Höxter-Warburg weist ausdrücklich darauf hin, dass Geflügelfleisch und Eier weiterhin bedenkenlos verzehrt werden könnten. Der Kreisverband trage jedoch die Eil-Verordnung zur bundesweiten Aufstallungpflicht mit: »So schwierig es häufig auch ist, freilaufende Hühner und Gänse über einen längeren Zeitraum einzusperren; wir müssen momentan Vorsicht walten lassen.«
»Die Arbeit eines ganzes Jahres ist jetzt für die Katz.« Franz-Josef Brinkmann, Landwirt und Rassegeflügelzüchter aus Brakel, ist die Enttäuschung anzumerken. Trotzdem hält er die Aufstallungspflicht für Geflügel für eine notwendige Verbraucherschutzmaßnahme.
Fünf Rassen umfasst sein Bestand aus etwa 60 Gänsen, Enten und Zwerghühnern. Als das Zuchtjahr begann waren es etwa doppelt so viele. »Für die Tiere wird es eine gewaltige Umstellung sein«, sieht Brinkmann voraus, »die sind alle in Freiheit groß geworden«. Von der Lösung, die Tiere draußen zu lassen und mit einem Netz zu »sichern« hält er nicht besonders viel. »Was soll das bringen?«, fragt er.
Seine Gänse, Enten und Hühner werden wohl heute zum letzten Mal im Freien picken. Spätestens morgen, so sieht es die Verordnung vor, müssen die Tiere im Stall sein. In der Beziehung kann sich Franz-Josef Brinkmann glücklich schätzen, weil er auf seinem Hof in Brakel genug Stallkapazitäten zur Verfügung hat. Die Aufstallungspflicht wird vielen seiner Kollegen vom Rassegeflügelverein Nethegau vor größere Probleme stellen.
Eine Sonderschau mit Züchtern aus ganz Deutschland hatte der Verein für das nächste Wochenende vorgesehen. »Die wurde uns vom Kreis-Veterinäramt verboten«, berichtet der Vorsitzende des Vereins, Reinhard Dornieden. »Unsere Ausstellung im kleineren Rahmen hätten wir zwar durchführen können - unter den Auflagen des Veterinäramtes hätten wir uns das aber gar nicht leisten können.« Der Verein hätte in dem Fall nämlich einen Tierarzt finanzieren müssen, der an den zwei Tagen ständige Kontrollen durchgeführt hätte.
Der durchaus im Zusammenhang mit der Vogelgrippe stehende Impfaufruf der Landesregierung an die gesamte Bevölkerung hat in den Arztpraxen gestern zu einem regelrechten Ansturm geführt. »Wir können uns vor Impfwilligen überhaupt nicht mehr retten«, berichtet Christina Balduhn, Fachärztin für Allgemeinmedizin in Bad Driburg. Sogar Jugendliche kämen nun zu ihr, um sich gegen die saisonale Grippe impfen zu lassen. »Wo soll das hinführen?«, stellt die Ärztin die Notwendigkeit von Impfungen in dem Alter in Frage. »Von den Kosten mal ganz abgesehen«, fügt sie hinzu. Wie ihre Kollegen auch hat sie Probleme, an den Impfstoff heranzukommen. »Elf Millionen Impf-Dosen stehen bundesweit zur Verfügung, wir benötigen aber 14 Millionen«, erklärt der Bad Driburger Allgemeinmediziner Dr. Eugen Pape, der in seiner Praxis ebenfalls eine übermäßige Resonanz auf den Impfaufruf beobachtet. Auch sein Impfstoff (der eigentlich bis Dezember reichen sollte) ist aufgebraucht. Eine Nachlieferung kommt Mitte November. Eine Impfung in vier Wochen sei aber auch noch völlig ausreichend, rät er davon ab, jetzt in Panik zu verfallen.

Artikel vom 21.10.2005