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Die Einsamkeit
des Modellbauers

Lesung mit Salsa im »Elfenbein«

Herford (wst). Dass lateinamerikanische Rhythmen ihre Geschichten untermalten, war von den beiden jungen Autoren so nicht geplant. Doch Micha-El Goehre und Mischael-Sarim Vérollet nahmen es mit Humor, dass parallel zu ihrer Lesung nebenan im Saal des »Elfenbein« die Mitglieder eines Tanzkurses den Salsa tanzten.

Durch die ungewohnte Musik gewann die Veranstaltung eine Atmosphäre, wie sie zumeist immer wieder in den Texten durchschimmert. Denn die Geschichten aus den kürzlich erschienenen Büchern »Phantomherz« von Mischael-Sarim Vérollet und »Wortstrom« von Micha-El Goehre sind skurril und hatten manchmal etwas von Kafka. So schien Großmutters Tod, von dem Vérollet erzählte, zuerst recht natürlich, und den Erdbeerkuchen, den sie zuletzt gebacken hatte, ließen sich dann ihre Angehörigen schmecken. Doch Omas lang gehegter Wunsch, den sie kurz vor ihrem Tod endlich verwirklichen konnte, blieb nicht ohne Auswirkungen für ihre Familie...
Von der Einsamkeit eines Modellbauers berichtete Micha-El Goehre. Von der Familie verlassen und arbeitslos flüchtet er sich in eine perfekte Welt, die er selber im Maßstab H0 aufgebaut hatte und die doch leer und leblos bleibt. Die beiden Autoren sind nicht nur einfallsreiche Geschichtenerzähler, sie erweisen sich auch als aufmerksame Beobachter mit Ironie und Witz. In einer Großraumdiskothek in Porta Westfalica erlebte Vérollet das Duell zwischen einem ambitionierten DJ und dem Jürgen-Drews-Verschnitt einer mobilen Diskothek, und sein Kollege erinnerte sich voll Nostalgie an »Amiga 500«, den Computer, den er niemals haben sollte.
Einen linken Spießer und Totalverweigerer, wie Vérollet ihn seinen Lesern vorstellt, haben seine Zuhörer vielleicht schon mal getroffen, und was sein Kollege in der Bielefelder Innenstadt erlebte, war nur der alltägliche Wahnsinn in einer ostwestfälischen Stadt.

Artikel vom 20.10.2005