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Westfalen entflohen der
Not der Heimat in die USA

Buch über Auswandererschicksale von Friedel Schütte

Von Silke Schade (Text und Foto)
Hüllhorst/Löhne (WB). Er nennt sie respektvoll »Heroes« (Helden): jene Männer und Frauen, die im 19. Jahrhundert in schweren Zeiten ihre Heimat verlassen haben, um jenseits des »großen Teiches« ein ganz neues Leben zu beginnen. 40 dieser Auswanderer und ihre Geschichten stellt der Journalist Friedel Schütte aus dem nahen Mennighüffen in seinem neuen Buch »Westfalen in Amerika« vor.

Ende dieses Monats wird das Werk erscheinen. Die Hoffnung auf ein besseres Leben war es, die damals etwa 300000 Westfalen zum Aufbruch in die »Neue Welt« motivierte. Billige Baumwolle hatte den deutschen Markt überschwemmt. Das Leinengewerbe lag am Boden, die Arbeitslosigkeit griff um sich. 170 000 Menschen aus dem damaligen Regierungsbezirk Minden, zu dem auch Hüllhorst und der Altkreis Lübbecke gehörten, entflohen dem Elend und segelten über den Atlantik.
»Es war die größte Massenauswanderung in der westfälischen Geschichte«, erklärt Friedel Schütte. Sie habe jede Menge Stoff für wissenschaftliche Aufsätze geliefert. »Eine lebendige Gesamtdarstellung gab es bisher jedoch noch nicht«, weiß der Mennighüffer. Diese Lücke füllt der 72-Jährige mit seinem 248 Seiten starken Werk aus.
In zahlreichen Reportagen zeichnet der weit gereiste Autor die unterschiedlichen und beschwerlichen Wege einzelner Auswanderer ins vermeintlich und für manche auch tatsächlich gelobte Land nach. So wie jenen von Heinrich Vogel aus Mennighüffen, genauer aus der kleinen Ortschaft Grimminghausen. 1895 folgte er seinen Brüdern nach New Minden in Illinois. In das »Klein-Westfalen-Dorf«, in dem die Bewohner noch die plattdeutsche Sprache pflegten. Der Auswanderer sah darin die einzige Möglichkeit, den Fesseln der Knechtschaft zu entrinnen, dem Dienst an der Waffe zu entkommen.
Dazu noch eine große Chance: Er konnte sich den Traum von einer eigenen kleinen Farm erfüllen. Friedel Schütte lernte ihn 1969 persönlich kennen, damals, als er vor Ort recherchierte. »Man hat mich überall mit offenen Armen empfangen«, erinnert sich der Journalist. Genauso wie auf den folgenden 34 Reisen in die USA, die er dazu nutzte, weiteren deutsch-amerikanischen Wurzeln auf die Spur zu kommen.
Freundschaften schließen, Partnerschaften knüpfen: Bis heute zeugen zahlreiche Fotos an den Wänden davon. Nah dran sein am Menschen, lautete seine Devise. Ganz ohne das Stöbern in Archiven ging es aber auch nicht. Um mit anderen Gleichgesinnten Informationen austauschen zu können, strickte Schütte das »Netzwerk Westfälische Auswanderungsforschung 19. Jahrhundert« mit der Internet-Adresse www.amerikanetz.de.
»Immer wieder erhalte ich Anfragen aus aller Welt«, ist der Löhner begeistert, aber nicht verwundert: »Jeder möchte doch wissen, woher er kommt.« Das sei auch für ihn der Antrieb gewesen, 40 Jahre zu forschen und drei weitere zu schreiben. Gewidmet hat er das Buch seinen sechs Enkelkindern. Er möchte einen Impuls an die Jugend senden, sich mehr für die eigene Herkunft zu interessieren. »Es muss nicht unbedingt Harry Potter sein«, meint Friedel Schütte überzeugt, »das Leben schreibt doch auch schöne Geschichten.«

Artikel vom 21.10.2005