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Graue Wolken
sind aufgeklart

Lesung mit Polen-Kenner Bormann

Versmold (GG). Die Deutschen haben viele Nachbarn. Allerdings bestehen mit keinem so viele Gemeinsamkeiten wie mit Polen. In der tausendjährigen Geschichte haben beide Völker sich immer wieder gemischt. Dennoch können die Gemeinsamkeiten auch tief greifenden Unterschiede nicht verdecken.

Über die Historie, die Gemeinsamkeiten und Ablehnungen der beiden großmächtigen Nachbarn von Polen, nämlich Russland und Deutschland, und die Sorgen und Ängste der Menschen in Polen ging es am Dienstagabend bei dem Vortrag von Cornelius Bormann. Zwei Stunden erzählte Bormann, auf Einladung der Vhs Ravensberg und des Freudeskreises für die Städtepartnerschaft Dobczyce-Versmold, warum die 1989 noch so innigen Beziehungen zwischen Deutschland und Polen zerbröckelten, warum die Rolle der Frauen in Polen hoch angerechnet wird, was Jahrhunderte lange Teilungen und Fremdbestimmungen bis heute für Auswirkungen bei den Menschen in Polen haben und welche Rolle Polen nach dem Beitritt zur EU zuteil wird. Zudem las er Passagen aus seinem 520 Seiten starken Buch »Der Adler mit der Frau im Herzen«, eine Geschichte Polens und des deutsch-polnischen Verhältnisses im 20. Jahrhundert, vor.
Neben Bürgermeister Thorsten Klute und dem Vorsitzenden des Städtepartnerschafts-Vereins, Christian Ludewig, hatten leider nur 18 weitere Interessierten den Weg in den Vortragsraum der Sparkasse gefunden.
»Es ist wichtig, das zwischen den Polen und den Deutschen weiter eine gute Atmosphäre aufgebaut wird. Wir sind ja im Augenblick ganz gut dabei, obwohl wir derzeit eher eine kritische Phase durchmachen. Das war aber nicht immer so, denn als im Jahre 1989 Polen eine große und entscheidende Rolle in der Wende in Europa gespielt hat, die sie durch die Solidaritätsbewegung herbei geführt haben, waren die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen so gut wie vielleicht noch nie. Die Polen haben sich auf den großen Nachbarn verlassen, die Deutschen haben sich als eine Art Mentor, als Sprecher der polnischen Interessen innerhalb der Europäischen Union und der Nato verstanden«, erklärte Cornelius Bormann, der seit 1965 Journalist für den WDR, Moderator der »Tagesthemen«, ARD-Auslandskorrespondent in Afrika, USA und Polen sowie Leiter des WDR-Studios Düsseldorf war und seit 2001 als freier Autor tätig ist.
Polen sei über die Rolle Deutschlands dankbar gewesen, denn es habe damals keine Diplomaten und Außenpolitiker gehabt, die sich souverän in dem westlichen Bereich bewegen konnten. Als einer der bedeutenden Bannerträger dieser Mentorenrolle fungierte zu jener Zeit Bundeskanzler Helmut Kohl, der noch heute in Polen hohe Sympathien genießt.
Zu grauen Wolken über den Himmel der Beziehungen zwischen Deutschland und Polen ist es dann 2003 bei der Diskussion um das Entstehen eines »Zentrums gegen Vertreibungen« gekommen. »Dieses Thema geht an die polnische Substanz, denn alle Polen sind mit einer klaren und emotional geführten Entschiedenheit gegen dieses Zentrum«, erklärte Bormann. Als Begründung dieser rigorosen Ablehnung erläuterte er, »dass die Polen befürchten, wenn die Teilungen und Vertreibungen ihres Landes in dem Zentrum dargestellt würden, sie ihr Recht nun dort zu leben in erneuerter massiver Weise angegriffen werden könnte.« Wenngleich man in Deutschland gegenüber Polen nun fremdele, so könne man gegenseitig eine Menge lernen, animierte Cornelius Bormann zum gegenseitigen Austausch mit dem östlichen Nachbarn.

Artikel vom 20.10.2005